Die Lebenserfahrungen der Erschaffer
Als Joseph Mohr 1816 das Gedicht „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ schrieb, hatte er selbst von Kindesbeinen an Verzweiflung und Not kennengelernt: Auf seinem Schulweg in der Stadt Salzburg war er den französischen Besatzern begegnet. Auch in Franz Xaver Grubers Heimatdorf Hochburg-Ach verzeichnete die Ortschronik eine Reihe von Verbrechen der französischen Soldaten. Es waren keine friedlichen Zeiten, wie wir sie heute kennen. Krieg, menschliches Leid, Angst und Hunger haben mehr als eine Generation von Menschen geprägt: Fast zwei Jahrzehnte lang hatten die Napoleonischen Kriege Europa fest im Würgegriff.
Napoleonische Kriege und Wiener Kongress
Mit dem Wiener Kongress (1814/15) sollte die alte Ordnung wieder hergestellt werden: Die Restauration hatte Einheit und Frieden zum Ziel. Territoriale Veränderungen ließen sich auf dem Papier und mit Verträgen scheinbar leicht durchführen: Doch in der Realität waren sie ein fürchterlicher Schock für die Bevölkerung. Wie etwa in Oberndorf bei Salzburg entstanden neue Orte auf der Landkarte, die es bislang gar nicht gegeben hatte: Sie verfügten über keinerlei Verwaltung und Struktur, hatten nicht einmal einen eigenen Namen. Die Menschen wurden in ihren Grundfesten erschüttert: Sie gehörten plötzlich einer anderen Nationalität an, von ehemaligen Freunden, Arbeitgebern und Nachbaren waren sie von einem Tag auf den anderen durch eine bewachte Grenze getrennt. Es galten neue Währungen und neue Gesetze. Man wurde ein Fremder im eigenen Land.
Die Zeit des Vormärz mit Zensur und polizeiliche Überwachung
Joseph Mohr hatte sich für eine geistliche Laufbahn entschieden: Sein unerschütterliche Glaube gab ihm die Kraft weiterzumachen und Trost zu spenden. Die Zeit des „Vormärz“ haben sowohl Joseph Mohrs als auch Franz Xaver Grubers Leben und Wirken nachhaltig geprägt. Es war die Zeit von zwei parallelen Strömungen, die unterschiedlicher nicht sein hätten können: Die Epoche des konservativen Biedermeiers (1815 – 1848) und des radikalen Vormärz (1830 – 1848), mit seinen politischen Forderungen nach Gleichbehandlung, Pressefreiheit und Demokratie. Im Land herrschte strenge polizeiliche Kontrolle: freie Meinungsäußerung oder politische Einmischung waren verboten. Der Rückzug in die eigenen vier Wände war nicht freiwillig, sondern ein Mittel zum Selbstschutz. Die Menschen waren eingeschüchtert und doch regte sich allerorts Widerstand gegen das diktatorische System.
Ein Friedenslied für die Welt
„Stille Nacht! Heilige Nacht!“ entstand in Zeiten von Krieg und Verzweiflung. Sowohl die politische als auch die wirtschaftliche Situation der Menschen war verheerend. Da erscheint es gar nicht so verwunderlich, dass das Lied im Laufe seiner 200-jährigen Geschichte immer wieder zu Kriegszeiten eine wichtige Rolle spielte: So etwa im Ersten Weltkrieg und auch im Zweiten Weltkrieg wurde es öffentlichkeitswirksam gesungen und vorgetragen. Das Lied vermag Kraft und Hoffnung zu schenken und Trost zu spenden. Und das in mehr als 300 Sprachen und Dialekten und rund um den Globus.