Langsam, fast zaghaft tauchen die morgendlichen Sonnenstrahlen den Bergwald in ein sanftes Licht. Ein filigranes Spinnennetz schwebt scheinbar schwerelos zwischen den Ästen der jungen Fichten, die feuchte Luft zaubert Locken ins Haar und wirkt beruhigend auf die Bronchien. Das tiefe Einatmen kommt von selbst und ich nehme wahr, wie sich mein Brustkorb hebt und senkt – im ureigenen Rhythmus, den ich angesichts der hohen Schlagzahl des Alltags viel zu oft ignoriere.
„Wann überhaupt ist für Sie die richtige Waldbade-Zeit zwischen Sonnenauf- und Sonnenuntergang?“ steht in der „Alpine Spa Forest Bathing“-Broschüre, die ich gestern Abend im Bett studiert habe. „Ganz klar der Morgen bevor die Welt so richtig erwacht“, schoss es mir durch den Kopf. In den Wald muss man früh, das hat mir schon mein Großvater – der Jäger – beigebracht. Doch ich bin im Urlaub und – auch das hat mir Opa Ferdinand beigebracht – die Wildtiere nutzen die frühen Morgenstunden zum Äsen und sollen dabei nicht gestört werden. Also mache ich mich erst nach dem Frühstück auf ins Angertal und siehe da: Obwohl in Bad Hofgastein schon emsige Betriebsamkeit herrscht, finde ich mich hier mit mir, meinem Atem und meinen Gedanken alleine wieder.
Natur Resonanz macht Waldbaden zum ganzheitlichen Erlebnis
„Der große Unterschied zwischen einer herkömmlichen Wanderung durch den Wald und dem vitalen Waldbaden liegt in der Natur Resonanz bzw. in der von mir entwickelten Methode ‚Bewegen in Resonanz mit der Natur‘. Dabei wird Bezug auf konkrete Plätze in der Natur, ihre Optik und Qualität genommen. Zwischen den einzelnen Stationen wird man angeleitet, unterschiedliche Geh-Varianten auszuprobieren“, betont Naturdenkerin, Tourismusgeomantin und Begründerin der Methode NATURESPONSE® Sabine Schulz, die die beiden „Alpine Spa Forest Bathing“-Waldwege samt Übungen in Bad Hofgastein konzipiert und mitgestaltet hat. „Natur-Resonanz-Übungen bestehen aus Bewegungen, Atmenübungen und Gedankenimpulsen, passend zu den Naturplätzen sowie zu übergeordneten Themen. Auf diese Weise wirken Körper, Gedanken und ‚Herzliches‘ zusammen.“
Von der „Zentrumswiese“ zur „Los-Lass-Linie“
Für mich ist der in der Broschüre beschriebene Weg perfekt: Nicht zu steil, nicht zu lang. Ich lebe in der Stadt und die weitesten Strecken, die ich zu Fuß zurücklege, sind jene zur U-Bahn oder in den Supermarkt. Der unebene Waldboden und die kleinen Trails wecken meine Fußmuskulatur auf, die nicht daran gewöhnt ist, über Stock und Stein zu steigen. Sieben Stationen erwarten mich auf dem Weg: Ich bin allein, schwinge kraftvoll meine Arme zur Seite und lockere die Knie, so wie es in der Broschüre beschrieben ist. Doch ich spitze auch meine Ohren und unter dem lauten Rauschen des Baches erahne ich unbekannte Vogelstimmen. Zudem weckt der erdige Geruch des Waldes meine Sinne: Die Feuchtigkeit des Mooses vermischt sich mit einer ungewöhnlichen Frische, die von den Bäumen direkt zu stammen scheint. Es ist der pure Sauerstoff, der meine Lungen füllt. Angekommen auf der „Zentrumswiese“ lege ich, wie im Guide beschrieben, die Hände auf den Bauch, um meine eigene Mitte zu spüren. Die Baumstümpfe der „Los-Lass-Linie“ etwas weiter entfernt regen dazu an, von Altem Abschied zu nehmen: Das kurze, aber bewusste Anspannen der Fäuste, Arme und Beine und das wohltuende Loslassen und Entspannen unterstützen diese Intention.
Das Zwitschern der Vögel hat sich mittlerweile zu einem Crescendo gesteigert: Sie scheinen mein Auftauchen in ihrem Wald mit Begeisterung zu verfolgen. Ich aber bemerke, wie ich immer ruhiger und langsamer werde – gerade so, als würde ich mich dem Takt des Waldes anpassen. Es geht mir nicht darum, schnell durch den Wald zu hetzen und diesen Urlaubsprogrammpunkt abzuhaken.
Endlich bin ich dabei, einfach anzukommen.
Spielerisch die Natur erkunden
So kann ich auch nicht widerstehen, mich mitten in einem kleinen Geröllfeld niederzulassen: Steinmännchen haben sich hier in Gruppen zusammengetan, gebaut von Menschen wie mir. Wie lange schon habe ich nicht mehr gespielt? Wann war es das letzte Mal, dass ich gedankenverloren vor mich hingepuzzelt habe? Stein für Stein staple ich übereinander, bis ich selbst eine kleine Steinmännchenfamilie gegründet und dabei gar nicht bemerkt habe, dass sich in einiger Entfernung Kinder zu mir gesellt haben. Auch sie völlig versunken in ihrem Spiel.
Heiter und gelassen erhebe ich mich und wandere weiter – über eine Brücke und tiefer in den Wald hinein: Bartflechten scheinen an den Ästen zu tanzen und riesengroße Ameisenhügel ducken sich unter hohen Fichten. Ich beobachte das emsige Treiben und ganz vorsichtig lege ich ein Papiertaschentuch auf den großen Hügel, so wie es mir mein Großvater beigebracht hat. Die Ameisen besprühen dieses binnen kürzester Zeit mit ihrer Säure. Vorsichtig ziehe ich es weg, ohne das fragile Gerüst zu zerstören und halte es mir vor die Nase: Was bei akutem Schnupfen hilft, wird doch auch präventiv helfen, denke ich bei mir.
Die nachhaltige Wirkung des Waldes spüren
Ganz ohne Hektik wandere ich von einer Station zu nächsten und lasse mich auf die Gedankenimpulse ein, höre aber auch auf meine eigenen Bedürfnisse. Ich steige auf Baumstümpfe, um neue Perspektiven zu erhalten und schlüpfe durch „Paar-Bäume“, um Altes abzustreifen. Begleitet von dem guten Gefühl, dass ich mich dem Wald und seinen Bäumen einfach nur hinzugeben brauche, damit sie ihre Wirkung entfalten. „Studien zeigen, dass die bewusste und aktive Bewegung im Wald den Blutdruck senkt sowie die Immunabwehr und die Konzentrationsfähigkeit erhöht“, bestätigt Sabine Schulz. „Negative Gefühle haben im Wald wenig Chance: Wut und Ängste verschwinden. Waldgerüche vermitteln allein schon evolutionsbedingt ein wohltuendes ‚Zu-Hause-Gefühl‘ und die grünen Farb-Frequenzen sorgen für Ausgeglichenheit“. Langsam werden die Wanderer im Angertal mehr: Auch sie scheinen auf der Suche nach einem Perspektivenwechsel oder habe den Wunsch, sich mit der Kraft der Bäume zu verbinden. Oder bilde ich mir das nur ein?
Vollgetankt kehre ich an den Ausgangspunkt meiner Wanderung zurück: Will ich sonst meist weiter und höher, reicht mir heute dieser ganz bewusste Spaziergang. Ich möchte ihm und mir Zeit zum Nachwirken geben. So wie es auch nach einem Thermalbad im Gasteinertal seit jeher empfohlen wird.