Ein Flamingo und ein Einhorn treiben im glasklaren Wasser des Wolfgangsees. Kinder bespritzen sich begeistert mit dem kühlen Nass, die Leichtigkeit der großen Ferien liegt in der Luft. Wässrig blau wölbt sich der Himmel über das 1.521 Meter hohe Zwölferhorn am gegenüberliegenden Seeufer: Es ist ein Sommertag wie aus dem Bilderbuch. Das hier könnte ein wunderbarer Tag am See werden. Doch es ist anderes geplant!
Unterwegs als Wallfahrer
Wir wollen uns für ein paar Stunden von der äußeren Welt trennen, um Schritt für Schritt den Blick nach innen zu richten. Wallfahren nennt man dieses Unterfangen. Oder Pilgern, wie es Hape Kerkeling populär gemacht hat. Doch es besteht ein Unterschied zwischen dem Pilgern und dem Wallfahren: Eine Wallfahrt ist eine rein katholische Tradition, findet immer in der Gruppe statt und führt zu einem ausgewiesenen Wallfahrtsort. Pilgern hingegen kann jeder: Unabhängig von der Konfession und an alle möglichen Orte, die für ihn wichtig sind.
Bei dieser Wanderung heute geht es ums Innehalten, ums Sinnieren, ums Nachdenken übers Leben. Die Frage nach dem Sinn des Lebens liegt in der Luft, jedoch auf heitere, gelassene Weise. In der Langsamkeit des Gehens liegt das Geheimnis des Tuns. Man fährt nicht mit dem Auto, man fährt nicht mit dem Schiff. Man geht in demselben Tempo, in dem schon Tausende von anderen Wallfahrern sich dem Ort St. Wolfgang mit seiner Wallfahrtskirche genähert haben.
Zu Fuß über den Falkenstein
Vom Ortsteil Fürberg in St. Gilgen verlassen wir das Terrain von Flamingos, Einhörnern und im Wolfgangsee badenden Familien, um in den kühlen Schatten der Bäume und Felsen einzutauchen. Steil führt der Weg bergan, den Wallfahrer seit dem Mittelalter zurücklegen. Denn schon damals galt der Ort als einer der wichtigsten Wallfahrtsorte Europas. Der heilige Wolfgang, Bischof von Regensburg, hat nicht nur dem Wolfgangsee seinen Namen verliehen. Er hat auch am Falkenstein Spuren hinterlassen: In einer Felsnische, in die man noch heute schlüpfen kann, soll er drei Jahre lang als Einsiedler gelebt haben. An diesem Ort wurde später das Falkensteinkirchlein mit der Wunschglocke errichtet. Natürlich muss sie geläutet werden: Zieht man an dem Strick und das Geläut erklingt exakt drei Mal, wird sich ein Wunsch in naher Zukunft erfüllen.
Nur wenige Schritte von der Kapelle entfernt lädt die Wolfgangiquelle dazu ein, sich mit dem Heilwasser die Au- gen zu waschen oder einen Schluck davon zu trinken. Wer auf Nummer sicher gehen will, füllt gleich die Trinkflasche neu auf. Immerhin er- wähnt auch das Wolfganger Mirakelbuch von 1753 das Falkensteiner Wasser als probates Mittel gegen Behexungen.
Gschmå-Platzln am Wolfgangsee
Auf dem Falkenstein befinden sich gleich mehrere Gschmå-Platzln: So werden die Wohlfühlplätzchen im ortseigenen Dialekt liebevoll bezeichnet. An ihnen finden sich Bänke und Relax-Liegen, die allesamt über grandiose Ausblicke verfügen. Doch für uns geht es weiter: Denn immerhin dauert die Tour gut drei Stunden bis nach St. Wolfgang. Während der Weg in Seenähe hinab in den weltberühmten Ort führt, schweifen die Gedanken weit. Der Geist kommt zur Ruhe: Die wunderschöne Natur wird zur Projektionsfläche. Wissenschaftler haben bewiesen, was Wanderer und Pilger schon lange wissen: Bei der Bewegung im Grünen regenerieren Hirnareale, die für die Konzentration zuständig sind, besonders gut.
Und so kommen wir mit klarem Blick und ebenso klarem Kopf in St. Wolfgang an: diesem Ort voller Klischees und Schönheit. Zwei wahre Meister ihres Könnens haben die berühmte Wallfahrtskirche mit unvergleichlich schönen Altären ausgestattet. Unweit davon besang Peter Alexander als Oberkellner Leopold das „Weiße Rössl“ am Wolfgangsee in dem gleichnamigen Film.
Flamingos gibt es hier auch. Und Einhörner. Sie scheinen geradezu einer anderen Welt anzugehören. Einer wunderschönen, vielfältigen Welt. Die man gerne für ein paar Stunden verlässt und in die man ebenso gerne wieder zurückkehrt.
Tipps für stille Momente an besonderen Kraftorten:
Im SalzburgerLand gibt es zahlreiche Wallfahrtskirchen wie etwa in den Stille-Nacht-Orten Oberndorf (Maria Bühel), Arnsdorf (Maria im Mösl), Stadt Salzburg (Basilika Maria Plain), Hallein (Maria Dürrnberg) oder Mariapfarr (Unsere liebe Frau). Besonders schön sind außerdem die Wallfahrtskirchen Maria Kirchenthal in St. Martin bei Lofer, die Wallfahrtskirche Filzmoos oder
„Unserer lieben Frau“ in Großgmain. Die berühmte „Pinzgau Wallfahrt“ von Ferleiten (Fusch an der Großglocknerstraße) über die Großglockner Hochalpenstraße bis nach Heiligenblut in Kärnten findet jeweils am 28. Juni statt.
Gegen Ende August treffen sich Wallfahrer zur „Almer Wallfahrt“ – auch bekannt als Bartholomä-Wallfahrt – in Maria Alm, um über das Steinerne Meer nach St. Bartholomä am Königssee zu wandern. Als im Jahr 1688 eines der Boote, das die Pilger über den See brachte, kenterte, ertranken 71 Menschen im Königssee. Seit dieser Tragödie endet die Maria Almer Wallfahrt offiziell in St. Bartholomä. Zum Gedenken an die Toten wird jedes Jahr ein Kranz an die Falkensteiner Wand, die steil in den See abfällt gehängt.
Sogenannte „Augenbründl“, deren Wasser eine heilsame Wirkung bei Augenleiden nachgesagt wird, gibt es unter anderem bei der Wallfahrtskirche Maria Brunneck am Pass Lueg (Golling) oder bei der Wallfahrtskirche St. Leonhard (Tamsweg).