Auf Spurensuche – vom Kalchofengut zur Muckklause
Bei einem Besuch im Museum Kalchofengut in Unken entdecke ich eine lange Holzstange mit Eisenhaken an einem Ende. Ich frage Kustos Sepp Auer, was es mit diesen Stangen auf sich hat und er erzählt mir die Geschichte der Holztrifter im Salzburger Saalachtal. Aufgrund des ältesten noch gültigen europäischen Staatsvertrags, der Salinenkonvention aus 1829, besitzt Bayern etwa 18000 ha Wald auf österreichischem Staatsgebiet. Das Holz wurde mittels Trift über Gebirgsbäche und die Saalach am Wasserweg nach Bayern gebracht. Die Trifter waren jene Männer, die das Holz mit langen Stangen im Wasser dirigierten und weiterbeförderten.
Es ist noch früh am Vormittag an einem wunderschönen Sommertag. Also beschließe ich spontan, mich auf die Spurensuche der Unkener Trifter an der Muckklause zu begeben. Mit dem Mountainbike radle ich hinein in das malerische Heutal. Beim Betrachten der Wälder ringsum erinnere ich mich an Sepp Auers Worte: „Die Wälder um Unken lieferten über Jahrhunderte hinweg Holz für die Salzgewinnung in der Saline in Bad Reichenhall. Holzknechte und Bauernburschen fällten im Winter große Flächen der Waldgebiete, die im Besitz der Bayerischen Saalforste liegen. Zweischneidige Hacken waren ihr Werkzeug, mit dem sie Baum um Baum zum Fallen brachten. Mit schwer beladenen Schlitten fuhren sie mit den Stämmen durch den tiefen Wald bis zur Muckklause.“ Vom ehemaligen Kahlschlag ist heute kaum noch etwas zu bemerken und ich genieße die schattenspendenden Bäume entlang der Route.
Ich radle im Hochwald über einen Sattel und leicht bergab geht es zur Kreuzbrücke. Hier zweige ich ab. Ein schöner Forstweg führt bis zur Winklmoosalm. Etwa 100 Meter nach dem Tanzanger parke ich mein Bike und steige zu Fuß hinunter zur ehemaligen Holztriftanlage Muckklause. Ich genieße die Ruhe, die hier zwischen den Bäumen nur durch das monotone Plätschern des Baches unterbrochen wird. Die 1975 renovierte Muckklause ist ein imposantes Bauwerk aus Stein und Holz und ich denke wieder an Sepp Auers Worte: „An geeigneten Klausbächen wurde das Wasser mit Hilfe von Steinsperren und Durchlasstoren gestaut. So auch bei der Muckklause an der Einmündung des Mösererbaches in die Unken. 1626 wurde dieses Bauwerk erstmals urkundlich erwähnt. Das im Winter mit Schlitten oder über speziell dafür erbaute Holzriesen zur Klause gerbrachte Holz wurde hier auf Blöcher gekürzt. Ein Blöcher maß drei Schuh’ – also etwa 90 cm – und war vorne und hinten angespitzt.“ Warum es angespitzt werden musste, erklärte mir Sepp Auer so: „Durch die Spitzen verklauste sich das Holz im Wasser nicht so leicht und man vermied den gefürchteten Fuchs.“
Angst vorm Fuchs
Die angespitzten Holzteile wurden vor der Klause in das Bachbett geworfen. War alles Holz aufgearbeitet, begann bei der Schneeschmelze im Frühjahr die gefährliche Trift. Triften bedeutet Schwemmen des Holzes durch den Bachlauf, und zu diesem Zweck wurde hinter dem Durchlasstor der Muckbachklause rund 14.000 Kubikmeter Wasser in den sogenannten „Klaushöfen“ gestaut. „Die Klause wurde geschlagen“, meinte Sepp Auer und erklärte mir bei unserem Gespräch im Kalchofengut: „Das Tor und die hölzernen Stützen der Klause wurden herausgeschlagen, worauf sich mit enormer Wucht das angestaute Wasser seine Bahn brach und das aufgetürmte Holz mit sich riss. Auch an den Seitenbächen entlang des Hauptbaches wurden Nebenklausen geöffnet, um die Wasserführung zu ergänzen. Dann sorgten die Trifter dafür, dass sich keine Haufen anstauten. Eine solche Verklausung wurde ,Fuchs’ genannt und das riskante Entwirren der verkeilten Holzstämme hat so mancher Trifter mit dem Leben bezahlt.“ Mit den langen Triftstangen – die mit Spitz und Haken versehen waren – kämpften die mutigen Männer gegen den Fuchs. Auf schmalen Steigen, wie man sie zum Beispiel heute noch in der Seisenbergklamm findet, stachen und zogen sie über dem wild sprudelnden Wasser an den Holzstücken. Ein falscher Schritt, ein kleiner Ausrutscher und sie fielen in das eiskalte, tosende Wildwasser. Oder sie mussten bis zum Bauch ins Wasser hineinwaten, um das Holz in die richtige Richtung zu dirigieren. Das große Risiko sei auch der Grund gewesen, warum nur unverheiratete Burschen als Trifter arbeiten durften. Und viele Marterl in Unken zeugen heute noch von den zahlreichen tödlichen Unfällen beim Triften. Auf wundersame Weise überstandene Unfälle sind in der Wallfahrtskirche Maria Kirchental auf Votivtafeln hinterlegt.
Kohle löst die Holztrift ab
War der enge Klausbach überwunden, fand das Holz seinen Weg in die Saalach. Ruhig und kraftvoll nahm das Wasser hier die Holzstücke mit bis zu den Rechenanlagen in Reichenhall. „Etwas Schwund gab es immer, denn nicht das ganze Holz, das in Unken ins Wasser geworfen wurde, kam auch in Reichenhall an. Ein Teil verkeilte sich an den Ufern oder wurde von den Holzfischern an Land gezogen. Die Holzfischer waren Anrainer der Saalach, die mit einem ,Klausschein’ eine gewisse Menge Holz für den eigenen Gebrauch mit den Triftstangen aus dem Wasser holen durften. Die Salinen nahmen diesen Schwund in Kauf, denn zum einen verhinderten die Holzfischer ein Verklausen und zum anderen wäre zu dieser Zeit kein anderer Transportweg als jener auf der Saalach in Frage gekommen. Getriftet wurde in der Muckklause bis 1911. Die Umstellung auf die Befeuerung der Salinen-Sudhäuser mit Kohle bedeutete dann das Ende des Triftens.
Das sanfte Rauschen des Baches inmitten des dichten grünen Waldes holt mich zurück in die Gegenwart – ein letztes mal blicke ich auf das historische Bauwerk der Muckklause und wandere zurück zu der Stelle, an der ich mein Mountainbike abgestellt habe. Auf der ganzen Strecke zurück zum Kalchofengut begleitet mich in meinen Gedanken die abenteuerliche Geschichte der Unkener Holztrifter am wilden Wasser des Salzburger Saalachtals.