Das Gasteinertal ohne Wasser, das wäre wie Skifahren ohne Schnee, ein Sommer ohne Sonne, oder auch Segeln ohne Wind. Schlichtweg nicht vorstellbar. Doch es sind nicht nur die wunderbaren Bäche, die rauschenden Flüsse, die imposanten Wasserfälle oder auch die malerischen Bergseen, die dieses Tal so unvergleichlich machen. Es ist vor allem das hochwertige Trink- und Thermalwasser, das hier aus den Tiefen der Berge wieder ans Tageslicht quillt.
Seit vielen Jahrzehnten, ja Jahrhunderten, sorgt es für den Ruhm Gasteins und trägt den Namen des Tals in die Welt hinaus. Aus 17 Quellen am Fuße des Graukogels wird dieser Schatz aus dem Nationalpark Hohe Tauern gewonnen, nachdem das Niederschlagswasser hoch oben auf dem Berg, auf ca. 1.800 Metern, versickert, durch die vielen Gesteinsschichten auf gut 2.000 Meter absinkt und viel später und erwärmt wieder in Bad Gastein hervortritt.
Immer wieder blicke ich beim Gedanken an dieses Wunder der Natur zum imposanten Gipfel des Graukogels hoch und fasse schließlich den Entschluss, diesem Berg doch einmal einen Besuch abzustatten. Und wer könnte sich für dieses Vorhaben besser eignen als Hans Naglmayr. Der Gasteiner aus Leidenschaft ist nicht nur Nationalpark Ranger im Nationalpark Hohe Tauern, sondern auch einer der größten Bergkenner und -liebhaber, die mir jemals begegnet sind. Besser könnten die Vorzeichen für eine tolle Bergtour also nicht sein.
Zirbenzauber
Zeitig in der Früh treffen wir uns an der Talstation des Graukogel Sessellifts, um die ersten Höhenmeter mit dessen Hilfe zurückzulegen. Natürlich könnte man zur Bergstation auch wandern, doch nachdem wir vom Graukogel zum Palfnersee und schließlich noch zur Palfnerscharte marschieren möchten, kommt uns diese Aufstiegshilfe geradezu gelegen. Nachdem mir ‚der Hans’ doch schnell ein paar Dinge über unsere heutige Tour erzählt, dabei immer wieder wild gestikulierend hinauf in die Berge deutet, sitzen wir auch schon im Lift und los geht’s.
Bevor wir unsere eigentliche Wanderung starten, besuchen wir noch den relativ neuen Zirbenweg am Graukogel, den Zirbenzauber. „Das ist ein wirklich schönes Projekt, das musst du gesehen haben“, sagt mein Guide noch und schon läuft er vor mir her in den Wald hinein. Zeigt in die Krone der Bäume, holt sein Messer heraus und gräbt Pflanzen aus, um sie mir zu zeigen, und ruft auch schon einmal umherfliegende Vögel mit fast nicht zu unterscheidendem Zwitschern. Wahnsinn, das funktioniert ja wirklich! Der Zirbenzauber soll den Wanderern allerlei über die Zirbe, übrigens die ‚Königin der Alpenhölzer’, näher bringen und ist gleichzeitig auch ein wirklich schöner Weg, der mit Panorama über das Gasteinertal und die umliegenden Gipfel geradezu gesegnet scheint.
Hier oben, auf gut 1.950 Höhenmetern, scheint der Alltag so fern und Stress ist ein Begriff, der schlicht und ergreifend nicht existiert. Herrlich! „Manche der Bäume sind über 400 Jahre alt und dienen auch nach ihrem Absterben noch viele Jahrhunderte lang den verschiedensten Tieren als Lebensraum“, reißt mich Hans aus meinen Gedanken. 400 Jahre, hier oben? Unglaublich! Rund 45 Minuten sind wir unterwegs, kommen an Jausenbankerln, Zirbenbetten und Zirbenschaukeln vorbei. Immer wieder hüpfen wir über kleine Tümpel und Bäche, in denen uns das Wasser entgegenglitzert und die das idyllische Bild abrunden. Hier könnte man auch einen ganzen Tag verbringen, vielleicht zwischendurch in der nahe gelegenen Graukogelhütte einkehren und sonst die Zirbe auf sich wirken lassen. Diese verringert ja die Herzfrequenz und ist für die Gesundheit besonders wertvoll. Wer jemals in einem Zirbenbett geschlafen hat, oder zumindest einen Zirbenpolster sein eigen nennt, weiß, wovon ich spreche.
Der malerische Palfnersee und die Palfnerscharte
Doch an Schlaf ist noch lange nicht zu denken. Nach einem Schluck aus der Wasserflasche verstaue ich noch schnell meine Jacke im Rucksack (ja, es wird bereits immer wärmer) und schon marschieren wir weiter Richtung Palfnersee. Entlang der Westseite des Graukogels führt uns der Weg zuerst leicht bergab, dann wird er immer abschüssiger. Es ist nicht wirklich schwer hier zu wandern, doch eine gewisse Trittsicherheit sollte schon vorhanden sein.
Vom sanften Zirbenwald ist hier nicht mehr viel zu sehen und die Landschaft um uns besteht hauptsächlich aus schroffen Felsen. Immer im Blick: die Felswände des Feuersangs. Nach ca. 45 Minuten erreichen wir den wunderbaren See, machen Fotos, testen die Temperatur des Wassers (ja, es ist kalt) und lassen uns an seinen Ufern zur Rast nieder. Die Kulisse um uns ist wirklich einzigartig. Der Nationalpark Hohe Tauern, in dessen Kernzone wir uns befinden, ist wirklich wunderschön und ein Juwel, das für die Nachwelt unter allen Umständen in dieser Form erhalten bleiben muss. Hoch über uns thront das Gipfelkreuz des Graukogels und auch Stubnerkogel, Zitterauer Tisch und die Schlossalm ziehen unsere Blicke immer wieder auf sich.
Für die Tour hinauf zur Palfnerscharte sollte man dann noch ein bisschen Extrazeit einplanen, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit vorausgesetzt. Doch der Blick hinunter zum Reedsee, ohne Zweifel einer der schönsten Bergseen der Alpen, entschädigt allemal für die Strapazen. Von der Scharte aus könnte man den See auch zu Fuß über den Gipfel des Graukogels erreichen und schließlich ins Kötschachtal absteigen. Wir entscheiden uns aber für den Rückweg über die Graukogel Bergstation nach Bad Gastein.
Munter marschieren wir dahin, genießen die warmen Sonnenstrahlen und am Palfnersee machen wir dann noch einmal kurz Halt und strecken unsere Beine in das eiskalte Wasser. Sollten wir vorhin vielleicht schon Anflüge von Müdigkeit verspürt haben – jetzt sind wir garantiert wieder wach. Die Zeit vergeht wie im Fluge, wir tratschen über dieses und jenes und als wir an der Talstation ankommen (hinunter ging’s zu Fuß), da beschließen wir dann auch noch spontan, diesen wunderbaren Tag in den Bergen in einem gemütlichen Gasthaus ausklingen zu lassen. Feste gehören schließlich gefeiert, wie sie fallen. Die Erlebnisse heute waren ein Fest für alle Sinne.