Trotz seiner jungen Jahre ist Lukas Schmiderer in seiner Heimatstadt Zell am See längst zum Original geworden. Als Mitarbeiter im Bezirksarchiv, Pâtissier des Jahres, Vize-Bart Olympionike, Tresterer, Krampus und Betreiber des „Kabinett im Schmidererhaus“ holte der heimatverbundene Zeller nun den Zeller Jedermann aus seinem hundertjährigen Dornröschenschlaf.
Wir sitzen im Bezirksarchiv Pinzgau in Zell am See, umgeben von unzähligen Aktenordnern mit der Historie der Region. Hier sammelt sich Geschichte. Aufzeichnungen über die erste Schneekanone in Zell am See, die Geschichte der Schifffahrt, Tourismusentwicklungen sind hier ebenso zu finden wie verstaubte Ansichten und Fotos aus dem ganzen Pinzgau. Eine kleine unscheinbare Kiste steht ganz nah am Schreibtisch – die Aufschrift: „Der Zeller Jedermann“.

Diese Truhe öffnet Lukas Schmiderer, holt ein kleines Büchlein hervor und beginnt zu blättern. Dabei fährt er sich mit der Hand durch seinen langen, buschigen Bart, der ihm unter anderem den Vize-Titel der Bartolympiade eingebracht hat. Über eine hohe Auszeichnung ganz anderer Art durfte sich Lukas Schmiderer als langjähriger Pâtissier im 5* Hotel Salzburgerhof freuen. Als „Pâtissier des Jahres 2017“ wurde er vom Schlemmer Atlas dank seiner tollen Desserts und Dekofiguren ausgezeichnet. Der Pâtisserie hat Lukas Schmiderer mittlerweile den Rücken gekehrt und er übernimmt ab kommendem Winter einen Feinkostladen im Herzen der Bergstadt. Dem Bezirksarchiv bleibt er als Mitarbeiter treu, wie er betont: „Ich bin sehr stolz darauf, hier an der Seite des Bezirksarchiv-Leiters Gerhard Cord und dem Gründer Horst Scholz arbeiten zu dürfen.“

18.000 Kronen für Eintrittskarte
Doch zurück zu dem Büchlein, in dem er nun die gesuchte Stelle offensichtlich gefunden hat. Es ist das Original Text-Buch für den „Zeller Jedermann“ aus dem Jahr 1923, samt handschriftlicher Vermerke. Als Spielleiter fungierte vor 100 Jahren Martin Schmiderer. Die Namensgleichheit ist kein Zufall, wie Lukas mit einem Augenzwinkern verrät: „Martin Schmiderer war mein Ur-Großvater. So lag es für mich nahe, den Zeller Jedermann zum 100. Jahrestag wieder wachzuküssen.“ Als großes Spektakel war „Das Sterben des reichen Mannes“ 1923 im Garten von Schloss Rosenberg vor ausverkauften Rängen aufgeführt worden. „Eine Eintrittskarte für den ersten Rang kostete 18.000 Kronen. Das klingt nach viel, war aber der Inflation geschuldet und daher gar nicht so ein hoher Preis. Und wer sich die Eintrittskarte trotzdem nicht leisten konnte, konnte das Stück von den kostenlosen Stehplätzen an der Seite aus mitverfolgen. Ganz Zell am See war auf den Beinen, um das Theaterstück – das im Original von Hugo von Hoffmannsthal 1920 bei den ersten Salzburger Festspielen aufgeführt wurde – im Pinzgauer Dialekt zum Besten zu geben. Die Dialektfassung von Franz Löser wurde übrigens von Hugo von Hoffmannsthal hochoffiziell genehmigt.“ Der Zeller Jedermann lockte einst das Schauspieltalent der Bürger hervor, wie Lukas Schmiderer anhand der Aufzeichnungen in der alten Truhe weiß: „Folgendes Motto stand in der Ankündigung: ,Es soll kein kleines Bauerntheater sein, sondern ein großes Volksschauspiel, an dem sich der ganze Ort beteiligt.‘ Und wirklich, es waren namhafte Bürger unter den Schauspieler*innen und Statisten. Der Vizebürgermeister, der Bootsführer, der Fasslbinder und Schuster. Die Buhlschaft wurde gleich vierfach besetzt – so groß war die Nachfrage der Damen auf diese Rolle. Nur der Jedermann selbst wurde von einem echten Schauspieler, dem Salzburger Friedrich Jores, verkörpert. Übrigens war der Erfolg enorm, und doch blieb es bei dem Jedermann-Sommer 1923, denn damals wurde jedes Jahr ein anderes Mysterienspiel inszeniert.“
Vom 6. bis 9. Juni und vom 13. bis 16. Juli wird diesen Sommer am Vorplatz des Ferry-Porsche-Congress-Centers also nun der Ruf des Jedermanns über die Zuseher schallen. Wer diese Termine verpasst, hat bis Ende des Sommers im Museum im Vogtturm direkt am Zeller Stadtplatz die Möglichkeit, die Jedermann-Ausstellung zu besuchen.
Der Tod hat das letzte Wort
Für die Neuauflage des Zeller Jedermann wurden die Original-Rollenbücher von Lukas Schmiderer inklusive handschriftlicher Notizen ins Reine geschrieben und dem frisch gebildeten Ensemble präsentiert. Als eine Art „Theater der besten Köpfe“ organisierte der Verein der Pinzgauer Heimatpflege Schauspieler unterschiedlicher Theatergruppen, um die Inszenierung erneut mit Leben zu füllen. Auch die Unterstützung im Ort sei enorm, freut sich Lukas Schmiderer, der im Stück den Spielansager übernimmt. So hat etwa Maskenschnitzer Arthur Moinat die Maske für den Tod angefertigt oder Tischler Hermann Reitsamer die Truhe für den Mammon gebaut und Mitglieder der Liedertafel, Bürgermusik und des Heimatvereins „D’Kitzstoana“ bilden die Tischgesellschaft. Neben dem Dialekt gibt es noch eine Abweichung zum Salzburger Original, wie Lukas Schmiderer verrät: „Beim Zeller Jedermann hat der Tod das letzte Wort.“ Mehr verrät er nicht, schließt das Büchlein und legt es zurück in die Kiste und schließt den Deckel.

Und nach dem Theatersommer wartet ohnehin wieder die Zeit der Kramperl, der Tresterer, der Perchten für Bezirksreferenten im Pinzgauer Gauverband. Und auch das „Kabinett im Schmidererhaus“ wird dann wieder mit einer neuen Ausstellung in den Schaufenstern auf 4,5 m2 bestückt. Und vielleicht findet sich bis dahin auch ein neues Zuhause für das Bezirksarchiv. Der Heimatpfleger blickt sich zwischen den gedrängt stehenden Aktenschränken um, zwirbelt seinen Bart und meint: „Wir sind dringlich auf der Suche nach größeren Räumlichkeiten. Denn morgen ist heute schon gestern und es landen immer mehr Akten im Archiv. Geschichte braucht eben ihren Platz.“