Kerstin verbringt bereits ihren dritten Almsommer auf der Litzelhofalm im Rauriser Seidlwinkltal. Als absolute Quereinsteigerin kann sie sich noch gut an ihren ersten Almsommer erinnern und verrät ihren „Leitfaden für zukünftige Senner und Sennerinnen“.
„Dreck ist mein MakeUp“, lacht die sympathische 23-Jährige und wischt sich die Reste eines Kuhfladens vom nackten Bein, das aus den Gummistiefeln ragt. Sie kommt gerade aus dem Stall, wo sie im Morgengrauen das Melken der zehn Milchkühe erledigt hat. „Es ist ungeschriebenes Almgesetz, dass die Kühe am Melkstand ihrer Verdauung freien Lauf lassen, da bekommt man schon mal etwas ab“, meint sie grinsend und verschwindet in die Alm, um kurz darauf frischgemacht, mit hochgebundenen Haaren und im feschen Trachtenrock wieder zu erscheinen. Kerstin ist eine der Sennerinnen auf der Litzelhofalm in Rauris und neben dem Versorgen des Almviehs – 10 Milchkühen rund um die Hütte und einigen Rindern auf der Hochalm – gehört auch das Kasen und die Bewirtung der Gäste zu ihren Aufgaben. Die ersten hungrigen Wanderer sitzen schon auf der sonnigen Terrasse und mit einem Strahlen nimmt die Regensburgerin ihre Bestellungen auf. Man könnte meinen, Kerstin hätte nie etwas anderes getan, doch betrat sie 2019 absolutes Neuland, als sie beschloss, nach dem Abitur einen Sommer als Sennerin zu verbringen.
Sehnsuchtsort Alm
„Meine Mitschüler zog es nach Australien oder auf Weltreise. Für mich war klar – ich will auf die Alm. Schon als Kind war ich am liebsten von Natur und Tieren umgeben. Mit meinem Sandkastenfreund beschloss ich damals, einmal einen Bauernhof zu kaufen. Die Alm war für mich immer schon ein Sehnsuchtsort. Zwar ging ich immer gern wandern, aber das Leben auf der Alm kannte ich nicht. Auch zu Kühen hatte ich wenig Bezug, da sich bei uns im Dorf alles um den Anbau von Spargel und Erdbeeren dreht“, verkündet sie, als alle Wanderer mit Brettljausn und Getränken versorgt sind. „Ich sprang also ins kalte Wasser und begann schon vor den Abiturprüfungen im Internet zu recherchieren und wurde auf der Seite almwirtschaft.com in der Jobbörse fündig. Hier werden zahlreiche offene Stellen auf Almhütten in Österreich angeboten. Ich suchte die für mich passenden Angebote und schrieb ganz förmlich Bewerbungen – darunter auch eine an die Litzelhofalm in Rauris. Hier gefiel mir gleich, dass zwar auch Bewirtung verlangt wird, aber die Viehwirtschaft im Vordergrund steht. Kurz vor dem Almsommer kam die Zusage und ich war eine der neuen Sennerinnen auf der Litzelhofalm. Daheim hatte ich zur Vorbereitung auf den umliegenden Bauernhöfen ein wenig beim Melken zugesehen, doch vor den Kühen hatte ich ehrlicherweise einen ziemlichen Respekt“, erinnert sich Kerstin zurück.
Vom Flachland in die Berge
Familie und Freunde fanden es toll, dass Kerstin nun endlich ihren Traum lebte und so packte sie kurz nach ihrem 18. Geburtstag ihren Rucksack. Mit im Gepäck war neben Gummistiefeln und Arbeitsklamotten eine gesunde Portion Realismus, die Kerstin den Einstieg in den Almalltag erleichterte: „Ich hatte Gottseidank kein verklärtes Almromantik-Bild vor mir – ich wusste, es wartet viel und harte Arbeit auf mich, und stellte mich darauf ein. Deshalb war ich positiv überrascht als nach einer zweiwöchigen Einschulung mit den Bauersleuten Kathrin und Toni alles eigentlich ganz geschmeidig von der Hand ging. Mona aus Berchtesgaden, die ebenfalls ihren ersten Almsommer antrat, und ich waren gleich ein gutes Team und trotz der vielen Arbeit hatten wir großen Spaß. Wir sind heute noch beste Freunde. Ich fühlte mich wie ein Kind, das auf Wolken durch den Almsommer flog – ich war auf der Alm überglücklich und genau dort angekommen, wo ich immer sein wollte. Heimweh empfand ich gar nicht und als es im Herbst hieß, wir sollen die Kühe bereit für den Almabtrieb machen, musste ich weinen, denn der Abschied vom Almsommer stand bevor.“
Social-Media-Detox
Dem Glücksgefühl tat auch keinen Abbruch, dass auf der Alm kein Handy- oder gar Internetempfang ist. Wieder lacht die Sennerin und meint: „Meist bemerke ich das gar nicht, da die Tage ohnehin ziemlich ausgefüllt sind. Doch wenn ich nach dem Vieh auf der Hochalm sehe, nutzte ich die Chance für Telefonate mit Familie und Freunden, denn dort oben auf der Höhe, hat man wieder Empfang. Aber ein wenig Social-Media Detox tut auf jeden Fall gut – man ist dann viel mehr bei sich selbst. Und dann stört es mich auch gar nicht, wenn ich im Laufe des Almsommers ein paar Kilo mehr auf den Rippen habe. Das ist dem guten Essen von Kathrin geschuldet. Ich bin aber dann ganz ich selbst und zufrieden mit mir und bekomme nicht dauernd ein Idealbild aus Socialmedia vorgesetzt.“ Mittlerweile hat Kerstin ihr Gartenbau-Studium abgeschlossen und arbeitet den dritten Almsommer auf der Litzelhofalm. Sie weiß, was sie erwartet, und genießt das Almleben. Sie sinniert und meint: „Wäre ich mit 18 nicht so mutig gewesen und hätte es nicht gemacht, würde mir jetzt definitiv etwas fehlen im Leben. Ich bin stolz auf mein jüngeres Ich und fühle eine tiefe Zufriedenheit, aber auch Wertschätzung und Dankbarkeit von den Bauersleuten, den Gästen und dem Vieh. Das ist Futter für die Seele! Mich hat die Almzeit selbstbewusster und stärker gemacht und wenn ich heute im Alltag eine Auszeit brauche, denke ich an meinen Sehnsuchtsort Alm. Ich habe dort das gefunden, was mir Freude macht.“
Während Kerstin nun wieder zurück zu den Gästen huscht und bald wieder hinaus auf die Almflächen geht, um die Kühe zum Melkstand zu holen, merkt man – hier hat jemand die große Liebe gefunden: Die Liebe zum Almsommer. Wer nun ebenfalls Lust aufs Mithelfen auf der Alm bekommen hat, für die hat Kerstin ein paar sehr wertvolle Tipps:
Leitfaden für künftige Sennerinnen
Wo findet man Senner-Jobs?
Am besten auf der Seite www.almwirtschaft.com oder in der Facebook-Gruppe „Almen und Oiwinger“ umsehen.
Was darf im Gepäck nicht fehlen?
Gummistiefel, Bergschuhe und eine Hose, in der auch für ein paar Kilo mehr noch Platz ist. Gute Arbeitshandschuhe und viel Handcreme. Auch ein wenig Make-Up darf mit, denn nach der Stallarbeit will man sich auch mal hübsch machen.
Was lässt man daheim?
Für mich gilt: Lesestoff. Fürs Bücherlesen hatte ich nie Zeit. Diesmal habe ich ein Tagebuch und einen kleinen mobilen Fotodrucker mit dabei, um meine Almzeit in Text und Bild festzuhalten.
Ein Anfängerfehler?
Pure Almromantik zu erwarten. Es gibt sehr romantische Momente, aber das Senner-Leben ist geprägt von viel Arbeit!
Mit der Kuh auf Du&Du?
Ich habe Respekt, es sind große Viecher! Ich mag die Kühe aber total gern – sie sind das Herzstück der Alm. Und ich liebe den Geruch, wenn sie bei Regen dampfend von draußen in den Melkstand kommen. Heute kann ich die Kühe viel besser lesen und verstehen – das kommt mit der Zeit.
Almsommer-Highlights?
Der Käse-Anschnitt – da feiern wir mit der ganzen Almfamilie den ersten reifen Käse des Sommers und verkosten ihn gemeinsam. Auch die Glockner-Wallfahrt ist ein schöner Termin, wo alle zusammenkommen, um die vielen Gäste zu bewirten.
Was mich überrascht hat?
Wie hart die Arbeit als Sennerin für den Körper ist. Oft schmerzen am Abend die Muskeln in Armen und Händen.
Wann wusstest du, dass dich das Almsommer-Fieber gepackt hat?
Als ich im Herbst weinen musste, als wir die Kühe fertig für den Almauftrieb machten. (Die Litzelhofalm treibt im Herbst auf, da der Abtransport der Kühe über das Hochtor an der Großglockner Hochalpenstraße nach Kärnten erfolgt). Ich hatte bis weit in den Winter hinein Heimweh nach der Alm.
Was ist die Alm für dich?
Ein Herzensort, hier fühle ich mich daheim.
Was vermisst du auf der Alm?
Die Sonnenuntergänge des Flachlands und das lange Ausschlafen.
Ein Tipp an zukünftige Senner?
Einfach machen! Über die Webseite www.almwirtschaft.com kann ein Bildungskatalog mit Kursen oder ein PDF mit dem A&O für die Almarbeit eingesehen werden. Auch das LFI bietet Weiterbildungen an. Ich hatte das Glück, dass mir die Bauersleute Kathrin und Toni Pichler alles beibrachten.