Maschinell, schnell und effizient – so wird heute in der modernen Landwirtschaft gearbeitet. Monströse Mähdrescher ernten binnen Minuten das reife Korn, und fast sind sie von der Bildfläche verschwunden: Die Sensen-Mäher. Fast, denn hie und da begegnet man ihnen noch, den traditionell arbeitenden Bauern, die mit reiner Muskelkraft die Ähren schneiden oder die steile Almwiese mähen.
Meine Suche nach einem Sensenmäher, der auch das Handwerk des Dengelns (dem Bearbeiten des Sensenblattes mit dem Hammer, um eine scharfe Schnittkante zu erhalten) und des Doggnbindens beherrscht, führte mich in den Salzburger Lungau. „Da Sagmeister Franz, der kann das!“, lautete es und so wartete ich an diesem Spätsommer-Tag auf seinem Hof in St. Margarethen auf den Franz, der eigentlich Franz Rotschopf heißt, doch jeder kennt ihn hier unter seinem Hof-Namen Sagmeister. Schon kommt er flott angeradelt, der Alt-Bauer des Sagmeister-Hofs, mein „Sensenmann“ für diese Geschichte. Zu erzählen hat er viel, der Sagmeister Franz, doch eigentlich könnte schon allein sein vom Leben und Wetter zerfurchtes Gesicht die Geschichte erzählen. Wache Augen funkeln mich freundlich an und schon beim ersten Händedruck weiß ich, dass ich hier nicht nur eine Geschichte finde.
Mit Schmotzn und Kumpf
„Bevor wir mähen, müssen wir die Sensen dengeln und einrichten“, erklärt Franz, denn, so fügt er hinzu:„ohne a guade Schneid geht garnix, weil wir wollen die Halme ja schneiden und nicht knicken.“ Je nachdem ob man eine Mahd im flachen oder steilen Gelände vor sich hat, wird der Winkel des Sensenblattes eingestellt – das erfolgte früher mit einem Eisenring, den man um das Ende des Worfs schlug – heute befinden sich an dem hölzernen Stiel drei vorgebohrte Löcher, mit denen man das Sensenblatt einfach arretieren kann. Die wichtigste Arbeit vor dem Einsatz am Feld ist jedoch das Dengeln des Blattes. In die Wiese steckt er einen kleinen Amboss, die „Schmotzn“ und den hölzernen „Kumpf“, ein wassergefüllter Wetzsteinbehälter. Dann nimmt er das Sensenblatt vom Worf und legt es mit der gebogenen Seit nach unten auf den Amboss. Gleichmäßig klopft er mit dem im Kumpf befeuchteten Dengelhammer von der Hamm (der Sensen-Bart) bis zur Spitze und erklärt: „Vorsichtig und gefühlvoll muss man dabei sein, denn ansonsten bekommt das Blatt Risse und beim Mähen verfangen sich darin die Halme.“
Um zu prüfen, ob die Sense gut gedengelt wurde, montiert er das Blatt wieder an den Worf und fährt mit der Rückseite des Daumennagels sachte über die Schneidfläche. „Rinnen muss es!“, sagt er und meint damit, dass er dabei keine Unebenheiten spüren darf.
Wo der Hafer wächst
Für unsere erste Mahd geht es zu einem großen Hafer-Feld, wo der Mähdrescher gerade dabei ist das Korn zu ernten. Den wassergefüllten hölzernen Kumpf steckt sich Franz in den Hosenbund und angelt daraus den Wetzstein, um der Sense den letzten Schliff zu geben. Während er – wieder von Hamm zur Spitze – gleichmäßig mit dem Wetzstein über das Sensenblatt streicht und die weithin hörbare Melodie des Wetzens ertönt, erklärt er mir die einzelnen Teile der Sense: „Der Stiel ist der Worf, daran sind zwei Griffe – die nennt man Habe. Am Worf befestigt ist das Sensenblatt mit Hamm und Spitze. Für die Kornmahd ist zusätzlich noch ein grobes Leinentuch am unteren Sensendrittel befestigt – der Floder. Dieses Schild erzeugt beim Mähen einen leichten Luftwiderstand, der die Ähren nach oben drückt. Kornmähen ist eine Arbeit, die große Sorgfalt verlangt, den schließlich geht es dabei um unser täglich Brot. Damit muss man behutsam umgehen!“ Gesagt getan. Schon steht er im Feld und mäht den „Howan“, wie die Lungauer zum Hafer sagen, und ruft mir über die Schulter zu: „Einen guten, breiten Stand verlangt das Mähen und eine gleichmäßige Drehung aus der Hüfte. Das Blatt muss parallel zum Boden liegen und die Hamm muss tief geführt werden – denn dort ist die beste Schneid. Nicht mit Kraft sondern mit der richtigen Technik mäht man gut. Nach jedem Schwung bewegt man sich einen Schritt in Mährichtung weiter.”
„Schhhhhh, schhhhhh…“ erklingt das gleichmäßige Schwingen über das Feld und fast lautlos fallen die reifen Ähren des Hafers um. Neugierig haben sich inzwischen die Kinder des Bauern eingefunden, auf dessen Feld wir unsere Mäh-Demonstration durchführen. Sie sammeln eifrig die Golfbälle des benachbarten Golfclubs ein, die sich ins Feld verirrt haben. Franz lacht und meint: „So ändern sich die Zeiten. Wir mussten als Kinder die abgefallenen Ähren einsammeln, denn nichts durfte verloren gehen.“ Bereitwillig zeigt er den Jugendlichen nun, wie man die Bänder zum Binden der Doggen vorbereitet: „So macht ihr das Drehband und so das Kreuzband. Damit werden die einzelnen Bündel der Garben zu Doggen gebunden. Für Sommer-Doggen brauchen wir acht Garben-Bündel mit Hut – für Winter-Doggen zehn.“
Sorgfältig stellt er die Bündel zusammen und damit die Ähren bei Regen nicht nass werden, bekommen sie einen „Hut“ aus einem weiteren Bündel. Stumm betrachten wir seine eben fertiggestellte Sommerdogge und Franz erzählt: „So blieben die Doggen früher 10 bis 14 Tage zum Trocknen stehen, bevor sie mit den Rössern eingefahren wurden und in die zweite Etage der Tenne gehoben wurden. Dort wartete schon die Bäurin, die die Garben legte und mit den Knien festdrückte. Jeder in der Familie hatte seine fixe Funktion beim Mähen: meist waren es die Männer, die die Sense schwangen, die Kinder die die Ähren aufsammelten und die Bänder banden und die Frauen, die die Garben bündelten und aufstellten.“
Franz erklärt das Dengeln und Mähen:
Zum Abschluss darf ich selbst zur Sense greifen und eine Grasböschung mähen – ein fester Griff an die Habe, Hamm dicht am Boden, Schwung und Zug. „So schlecht stellst dich gar nicht an“, meint der Landwirt schmunzelnd doch ich merke, dass diese geschmeidige – und eigentlich kraftlose – Bewegung des Sensenmähens noch viel Übung abverlangt. „Jetzt haben wir uns einen Kaffee verdient, gehen wir heim zur Mama“, verkündet er und meint damit liebevoll seine Frau Maria mit der er bereits fast sechs Jahrzehnte verheiratet ist. Gestritten haben sie noch nie, meint er und fügt mit einem warmen Lächeln hinzu: „Warum auch, sie meint es gut mit mir und fürs Streiten ist die Zeit doch viel zu schade!“
Hart verdientes Brot
Daheim bei Kaffee und Kuchen am heimischen Küchentisch erzählen mir die beiden, wie es früher war: „Es ist etwa zwei Jahrzehnte her, dass wir die gesamte Landwirtschaft noch manuell bewirtschaften mussten. Zwei mal im Jahr wurde gemäht und wir waren vom Ertrag der Ernte abhängig. Ein Ausfall durch Hagel oder Trockenheit bedeutete Hunger. Darum schaute man darauf, immer für zwei Jahre Korn gelagert zu haben. Heute noch bauen wir Roggen, Dinkel, Hafer und Weizen an, obwohl Brotgetreide aufwändig zu bewirtschaften ist. Doch wir wollen das Getreide im Lungau erhalten – denn: Hart verdient ist das Brot, doch noch härter ist es ohne Brot!“
Noch lange Zeit sitze ich mit Franz und Maria am Küchentisch und lausche ihren Geschichten. Und einmal mehr erkenne ich: Es sind nicht die schillernden Personen, denen ich gerne zuhöre. Gesichter, die alleine schon Geschichten erzählen, eine Herzenswärme, die strahlt wie ein knisterndes Kaminfeuer und eine Begegnung mit zwei Menschen, die ich in Erinnerung behalten werde.