Der graue Fels ist glatt und weit unter uns im Tal verlocken die grünen Fluten des Mondsees. Der Puls rast angesichts der exponierten Lage und mein Blick geht wieder zurück zum grauen Fels inmitten der senkrechten Wand. Ich bin über zwei Karabiner mit dem gespannten Drahtseil verbunden. Wir sind am Klettersteig „Drachenwand“ unterwegs.
Klettersteige liegen im Trend der Freizeitbeschäftigung, das Kraxeln an versicherten Klettersteigen boomt. Die Zahl der Klettersteige in den Alpen hat sich im letzten Jahrzehnt verdoppelt. Immer mehr Menschen bewegen sich auf eisernen Wegen bergwärts. Wer Tiefblicke aufregend findet und sich gerne im Fels bewegt, findet in den „Eisenwegen“ eine tolle Herausforderung für Körper und Geist. Die Steige sind mit Stahlseilen oder Trittstiften gesichert und die Risiken sind im Vergleich zum Freiklettern überschaubarer. Mehr als 500 Steiganlagen von leichten Anstiegen bis zu schwierigsten, kraftraubenden Sportklettersteigen sind in ganz Österreich zu finden. Ihre Schwierigkeitsgrade sind von A für einfach bis E für extrem schwer angegeben.
Wir sind natürlich mit einem Bergführer unterwegs und Sepp Schiefer erzählt: „Ausdauer, Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sind Grundvoraussetzungen für eine Klettersteigtour. Dazu kommt eine gute Ausrüstung. Immer wieder sieht man Sportler, die ohne Helm oder unzureichender Ausrüstung unterwegs sind. Das ist aber eine der wichtigsten Grundvoraussetzung neben einer guten Planung“. Schiefer legt jedem Klettersteig-Anfänger nahe, unbedingt einen Klettersteig-Kurs vor diesem schönen Abenteuer zu besuchen bzw. sich einer durch Bergführer geleiteten Tour anzuschließen.
Kraftreserven gut einschätzen
Wichtig sind die modernen Klettersteigsets auch bei eventuellen Stürzen, denn die heftigen Belastungen, die bei einem Sturz auf Mensch und Material einwirken, kann ein solches Set abpuffern, informiert uns Sepp Schiefer. Für das Klettersteiggehen sollte man außerdem ein gewisses alpinistisches Grundverständnis haben und vor Tourbeginn den lokalen Wetterbericht sehr ernst nehmen, denn schließlich bewegt man sich im Hochgebirge und Sepp fügt hinzu: „Vor Antritt der Tour sollte man sich unbedingt auch über die Wettersituation gut informieren, denn Regen, Nässe und Kälte erhöhen das Sturzrisiko. Ein Klettersteig ist bei Gewitter auch ein famoser Blitzableiter. Durch den Trend des Klettersteiggehens und der zunehmend schwierigen Klettersteiganlagen mussten in den vergangenen Jahren vermehrt Klettersteigbegeher von Flug- und Bergrettung gerettet werden“. Es gilt die eigenen Kraftreserven zu kennen und gut einschätzen zu können. Das zeigen auch schon unsere nächsten Minuten.
Nach anfänglich leichteren Passagen folgen Rinnen und Scharten bis zu einem steilen Pfeiler. Unsere Gesichter röten sich teilweise leicht und die zuvor angeregten geführten Gespräche verkürzen sich auffallend. Konzentration aller: Die zwei Karabiner werden vom Y-förmigen Sicherungsseil, das am Hüftgurt hängt, zunehmend wortloser in das Stahlseil des Klettersteigs ein- und ausgehängt. Sabine klickt vor mir den zweiten Karabiner hinter den ersten, und sucht vorsichtig entdeckend Halt für den nächsten Schritt – geschafft, sie zieht sich am Drahtseil langsam höher.
Richtige Ausrüstung und Planung
Herzstück der Ausrüstung ist das Klettersteigset: Moderne Klettersteigsets sind mit einem Bandfalldämpfer, der im Ernstfall an Sollbruchstellen auslöst und den Sturz auffängt, ausgerüstet. Besonders wichtig sind funktionelle Klettersteigkarabiner, die sich einfach bedienen lassen und automatisch schließen. Ein Helm gehört zur Standardausrüstung dazu. Klettersteighandschuhe sind ein Muss bei allen Touren, denn sie schützen vor Blasen an den Händen und vor Hautverletzungen. Die richtige Ausrüstung spielt für eine erfolgreiche und sichere Klettersteigtour eine tragende Rolle. Wer leichtsinnig ohne das geeignete Equipment in die Wand steigt, geht ein lebensgefährliches Risiko ein. Generell kommt man auf dem Klettersteig am kräfteschonendsten und sichersten mit der Drei-Punkte-Regel aus dem Klettersport nach oben: Auf drei Punkten sollte man sicheren Halt haben und aus diesem stabilen Stand heraus immer nur einen Fuß bzw. eine Hand zum nächsten Tritt oder Griff führen.
Planung ist der Schlüssel für sichere und genussvolle Touren. „Informieren Sie sich genau über Schwierigkeit und Länge, Zu- und Abstieg, Wetter und Verhältnisse. Zu jedem Klettersteig gibt es übrigens Führerliteratur mit Topos – auch eine kurze Recherche im Internet bringt häufig wertvolle Treffer“ rät Bergführer Sepp Schiefer. Zu hoch gewählte Schwierigkeiten mindern das Erlebnis und können zu gefährlichen Situationen führen. Neben der klettertechnischen Schwierigkeit müssen auch die Länge des Steiges und die Beschaffenheit des Zu- und Abstiegs sorgfältig ausgewählt werden und dem persönlichem Können, der Fitness und der Erfahrung entsprechen. Ein einfaches „Aussteigen“ bei schwindender Kraft oder unsicherem Wetter ist auf vielen Klettersteigen nicht möglich: Daher ist die Vorab-Information auch so wichtig, ob es auf der Tour „Notausgänge“ gibt, damit diese im Notfall verkürzt werden kann.
Ein weiterer Zackengrat lockt vor einem letzten steilen Finale vorm Gipfel. Über einen breiten, felsigen Rücken erreichen wir in kleinen Schritten den höchsten Punkt mit dem Gipfelkreuz. Geschafft!!! Stolz und ergriffen genießen wir den fantastischen Fernblick über das Salzkammergut-Seengebiet bis hin zu den schneebedeckten Gipfeln des Dachsteinmassivs.
Fotocredit: Sepp Schiefer