Ein „Stille Nacht! Heilige Nacht!“- Roadtrip, ist das nicht ein Widerspruch in sich? Nein, denn wer sich in der Vorweihnachtszeit auf die Spuren von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber begibt, tut das fernab von Hektik, Kitsch und Kommerz.
In den Stille-Nacht-Orten im SalzburgerLand herrscht eine ganz besondere Stimmung, getragen von überlieferten Bräuchen und von Menschen, die diese in Ehren halten. Im Jubiläumsjahr 2018 hatte ich mich auf diesen ganz besonderen Roadtrip von Stille-Nacht-Ort zu Stille-Nacht-Ort begeben. Daran erinnere ich mich nun, in dieser besonderen Zeit, in der alles anders scheint, gerne zurück.
Noch drei Tage bis Weihnachten: Markant heben sich die verschneiten Gipfel der Tauern vor dem nächtlichen Himmel. Nirgendwo in Österreich soll es einen klareren Sternenhimmel geben als im Salzburger Lungau. Und in diesem Moment scheinen sich die Sterne allesamt in den Augen der umstehenden Menschen hier am Joseph- Mohr-Platz in Mariapfarr widerzuspiegeln. Vor uns knistert das Feuer in der Schale, der Most dampft in der Tasse. Wir haben uns selbst ein ganz besonderes Geschenk gemacht: einen kleinen Wochenendtrip – eine spontane Auszeit! Weg von der Hektik und rein in die Besinnlichkeit. Im Hintergrund stimmen die Volksschüler ein Weihnachtslied an: Die hellen Stimmen lassen mich an meine eigene Kindheit denken. Aber es ist nicht jenes Lied, dessen Text der Hilfspfarrer Joseph Mohr 1816 hier geschrieben hat. „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ wird nur am 24. Dezember gesungen. Und so weit ist es noch nicht! Doch das Lied wird uns die nächsten Tage begleiten: 2018 feierte es seinen 200. Geburtstag und in Mariapfarr hat sich Joseph Mohr zu seinem Gedicht inspirieren lassen.
Ein Lied für den Frieden
Wir betreten die nach Weihrauch duftende Pfarrkirche „Unserer Lieben Frau“ und betrachten dasselbe Altarbild wie Joseph Mohr. Plötzlich fühle ich mich um Jahrhunderte zurückversetzt. In eine Zeit, in der die Menschen kaum wussten, was sie auf den Tisch bringen sollten. Napoleon hatte Europa verwüstet, Missernten verursachten Hunger und Not. An Geschenke dachte zu dieser Zeit niemand: Gewünscht hat man sich Frieden.
Wie vielen Menschen das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ tatsächlich Trost und Hoffnung spendet, wird uns am nächsten Tag vor Augen geführt: In Wagrain ist im Pflegerschlössl das Stille-Nacht-Museum untergebracht. Eine Weltkugel veranschaulicht die wundersame Verbreitung des Liedes. An die zwei Milliarden Menschen singen das Lied jedes Jahr zu Weihnachten in mehr als 300 Sprachen und Dialekten – das ist mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung. Und das ganz ohne Twitter, Facebook und Instagram, denke ich bei mir. Es muss schon etwas Besonderes sein, sonst wäre das nicht möglich. Und tatsächlich: „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ ist zwar eine einfache Komposition, so erfahren wir etwas später im Stille- Nacht-Museum in Hallein, doch es ergibt in Kombination mit den tröstenden Worten einen wahren Geniestreich.
Franz Xaver Gruber & Joseph Mohr
Der junge Lehrer Franz Xaver Gruber hat 1818 den Text von Joseph Mohr an nur einem Nachmittag vertont, doch schon 1831 wurde das Lied in Leipzig und 1839 in New York gesungen – vorgetragen von Tiroler Nationalsängern.
All das besprechen wir noch einmal bei einer Tasse heißer Schokolade und einem „Stille-Nacht-Mäuschen“ in der fabelhaften Confiserie Braun in Hallein. Danach geht es weiter in die prachtvolle Stadt Salzburg, der Geburtsstadt von Joseph Mohr. Die Angst, dass uns hier die Hektik der Vorweihnachtszeit einzuholen droht, ist unbegründet. Obwohl der Christkindlmarkt zu den schönsten und ältesten der Welt zählt, genießen wir das gemächliche Treiben jenseits von Kitsch und Kommerz. Der Abstand zum sonst so verrückten Trubel rund um Weihnachten tut uns gut. Ebenso wie die selbst gebackenen Kekse und der herrlich duftende Adventkranz im Haus unserer Gastgeber.
Zurück an den Ursprung
Für den letzten Tag unseres Wochenendes stehen Oberndorf und Arnsdorf auf dem Programm: In Arnsdorf hat Franz Xaver Gruber das Lied komponiert, in Oberndorf haben er und Joseph Mohr es 1818 nach der Christmette zum ersten Mal gesungen. Ehrfürchtig betreten wir die kleine Stille-Nacht-Gedächtniskapelle und wir sind an diesem Vorweihnachtstage 2018 nicht allein: Koreaner, Amerikaner, Deutsche und Polen drängen sich dicht an dicht an uns. Die ungewohnte Nähe zu fremden Menschen lässt uns beide noch näher zusammenrücken. Plötzlich vernehme ich die Stimme einer Frau: Sie summt die Melodie von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“. Nach wenigen Takten stimmen die Umstehenden mit ein. Immer mehr erfasst mich ein friedvolles Gefühl. Mit jedem weiteren Takt beginne ich, Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber und ihre Botschaft von Weihnachten besser zu verstehen. Ich spüre eine tiefe Verbundenheit mit den umstehenden Menschen, innere Ruhe und Zufriedenheit. Ich fühle mich getragen und die Vorfreude steigt: Weihnachten steht bevor und dieses Lied ist ein Geschenk, das wir jedes Jahr aufs Neue erhalten. Und das niemals seinen Zauber verliert – selbst in diesem so besonderen Jahr 2020, in dem so vieles anders ist als sonst.