Bevor sie auf Herbergssuche gehen, treffe ich Maria und Josef noch auf ein Kletzenbrot. Schon bald ziehen sie, begleitet von einer Schar Hirten, wieder los und verbreiten als Anklöckler vorweihnachtliche Stimmung im Raurisertal.
Der Brauch des Anklöckelns
Das Brauchtum des Anklöckelns kommt in zahlreichen Variationen vor und unterscheidet sich von Region zu Region, teilweise sogar von Ort zu Ort. Ursprünglich diente der Brauch wohl dazu, den bösen Mächten die Kraft zu nehmen. Später wurde er dann christianisiert und kleine Gruppen, bestehend aus Maria, Josef und den Hirten, zogen von Hof zu Hof, um die Geburt Christi anzukündigen.
Für’s Ohr und für’s Gemüt
„Schon die Generation vor uns ging als Anklöckler. Ich glaube, sie waren bereits in den 1950er Jahren unterwegs“, sinniert Josef, alias Otto Loitfellner, über die Geschichte der Wörther Anklöckler. Sie sind eine von mehreren Anklöckler-Gruppen, die in der Vorweihnachtszeit für besinnliche Stimmung im Raurisertal sorgen.
Maria, die auch im tatsächlichen Leben so heißt, schlüpft seit sie 15 ist in die Rolle der Jesusmutter. Bald macht sie die 40 Jahre voll. Die biologischen Gesetze bleiben bei der Wahl der Mitglieder außen vor, entscheidend ist, dass Josef und Maria gesanglich harmonieren. „Früher war das Musikalische noch nicht so wichtig, heute legen wir jedoch großen Wert darauf“, erzählt Otto, der beim Anklöckeln auch gerne mal zu seiner Zugin greift. Und schnell fügt er hinzu: „Aber natürlich gehört auch das Gesellige dazu.“
Wenn das Glockenschellen der Rauriser Toifin verstummt ist und wieder winterliche Ruhe über dem Tal liegt, machen sich die Anklöckler bereit. Gewandet in lange Mäntel, die Füße in dicken Wollsocken, mit Krempenhut am Kopf und langem Stecken in der einen und Laterne in der anderen Hand, bitten die Anklöckler in den letzten beiden Wochen vor Weihnachten um Einlass in Häuser und Höfe. An zwei oder drei Abenden besuchen sie jeweils rund sechs Häuser. Sie halten die Anzahl der Hausbesuche bewusst gering, denn den Wörther Anklöcklern ist es wichtig, zeitig bei den Leuten anzukommen, damit alle von der Uroma bis zum Sprössling an ihrem Auftritt teilhaben können.
Von Hof zu Haus
„Se kemman, se kemman!“ Aufgeregt stürmen die Kinder zurück in die Stube und kündigen so das Kommen der Anklöckler an, deren Laternenschein sie in der Dunkelheit entdeckt haben. Und dann steht Hirte Hans auch schon unter der Tür und fragt den Hausherrn ums Hereinkommen.
„Griaß Gott liabe Leit, oi miteinond, mia kemman her vom heiligen Land. Mia sand a gonze Bande, i natürlich, da Lenz, da Ruap, da Stoff und da Xandi. Mia tatn enk heit kund, wos si zuatrogn hot in Betlehem unt‘. Und do mecht ma en Hausvota frogn, ob ma eichakemma megn.“
Ein Hirte der Anklöckler-Gruppe
Beim Eintreten stimmen die Hirten „Gott griaß enk, Leitln“ an und begrüßen die Anwesenden mit ihrer ersten musikalischen Darbietung. Beim darauffolgenden Lied „Wer klopfet an“, betreten auch Maria und Josef die Stube und bitten beim kaltherzigen Wirt um ein Quartier. Andächtig und ruhig ist es rund um den großen Tisch geworden, bis … „Hiatz tuats auf oamoi brinna, jo brinna …“ – Die zuvor schlafenden Hirten springen auf und zeigen wild gestikulierend auf den hellen Stern über ihnen. Dabei passiert es schon einmal, dass die Zuhörenden zusammenzucken oder gar einen kurzen Schrei ausstoßen. Situationen, die den Anklöckerln manchmal viel Beherrschung abverlangen, aber dafür umso länger in Erinnerung bleiben.
Es darf auch mal gelacht werden
Aus übertragenen Erzählungen weiß Otto, dass die Anklöckler früher öfter einen Esel mitführten, bis hinein in die Stube. Mit einer unwillkommenen Hinterlassenschaft war dabei naturgemäß zu rechnen, wohl ein Grund, warum der Esel fortan wieder im Stall blieb. Dann gab es den Hund, dem ein Hirte während des Singens auf den Schwanz trat und der seinen Unmut darüber jaulend kundtat. Und die auf der Nähmaschine schlafende Katze, die sich vor den enthusiastischen Hirten so erschreckte, dass sie zuerst panisch den Wäschehaufen in der Stube verteilte und danach über das Warmloch (Loch in der Decke zum Mitheizen der Schlafräume im oberen Stock) schnell das Weite suchte.
Abschied bis zum nächsten Jahr
Sieben bis acht Lieder tragen die Anklöckler vor, bevor sie sich mit gesegneten Weihnachts- und Neujahrswünschen verabschieden. Mit Glühwein, Schnapserl und einer deftigen Jause bedanken sich die Gastgeber für den Besuch der Anklöckler. Die einheimischen Anwesenden zücken danach schon routiniert ihre Geldtasche, um eine Spende ins Stoffsackerl der Hirten zu stecken. Die Einnahmen kommen sozialen Zwecken im Raurisertal zugute.
Damit die Stimme nicht ganz verkommt, lädt Otto Loitfellner seine Anklöckler-Gruppe auch zu einem sommerlichen Stimmtraining ein: Bei einer Almwanderung mit Hütteneinkehr halten Sie altes Liedgut lebendig und lassen der Freude am gemeinsamen Singen freien Lauf. Und trotz sommerlicher Temperaturen können es die Anklöckler kaum mehr erwarten, bis sie wieder den alten Lodenmantel aus dem Schrank holen und die Menschen auf Weihnachten einstimmen dürfen.