Unbeschwertes Urlaubsfeeling, noch eine letzte Abfahrt im perfekten Pulverschnee und schon ist es passiert. Für rasche Hilfe bei einem Unfall auf und abseits der Pisten des SalzburgerLands sorgen die Retter aus der Luft. Per Rettungshubschrauber geht es nach notärztlicher Erstversorgung ins nächste Krankenhaus.
Einer der Flugrettungsstützpunkte des SalzburgerLands befindet sich mitten im Skicircus Saalbach Hinterglemm Leogang Fieberbrunn, wo die Rettungscrew des Hubschraubers Martin 6 tagtäglich in Bereitschaft steht. Bei meinem Besuch am Hangar durfte ich einen Blick hinter die Kulissen des Rettungs-Alltags werfen.
7:00 Uhr früh.
Es ist fast noch dunkel als ich mich im schweren Schneesturm dem Hangar am Westgipfel nähere, doch der Stützpunkt ist bereits hell erleuchtet und es herrscht reger Betrieb. Die Crew – bestehend aus Pilot, Flugretter und Notärztin – führen gerade ihren allmorgendlichen Check am Hubschrauber, dem Equipment und der medizinischen Ausrüstung durch. Pilot Shannon Harding, gebürtiger Südafrikaner und seit drei Jahren im Team, hat am Stützpunkt übernachtet. Er versieht im wöchentlichen Wechsel mit Pilot Hanno Berghofer seinen Dienst. Nachdem er die technische Flugbereitschaft des Hubschraubers überprüft hat, startet er den kleinen Mähtrac. „Neben dem Hubschrauber unser wichtigstes Gerät“, lacht der Pilot und beginnt, den Außenbereich des Hangars vom Neuschnee zu befreien, damit der Hubschrauber für einen Einsatz aus dem Hangar gezogen werden kann.
Morgendlicher Check
Inzwischen überprüft Toni Voithofer alle alpintechnischen Geräte an Board. Er ist der leitende Flugrettungssanitäter in der Crew und bereits seit zwölf Jahren am Hangar in Hinterglemm. Als Flugretter ist Toni Voithofer nicht nur langjähriger Notfall-Sanitäter beim Roten Kreuz, sondern hat zusätzlich eine Bergrettungs- und Flugretter-Ausbildung absolviert. „Gestern hatten wir eine Tau-Bergung“, erklärt er mir, während er die Taue und das variable Seil wieder sorgfältig in den Hubschrauber packt. „Das Betanken des Hubschraubers gehört auch zu den Aufgaben des Flugretters und wird unmittelbar nach der Rückkehr von einem Einsatz erledigt, um sofort wieder startklar zu sein. Vor und nach jedem Einsatz wird die Maschine kontrolliert. Unsere Kontrollgänge sind überlebenswichtig“, meint er und klettert an Board, um auch die Trage zu überprüfen.
Als drittes Crewmember versieht an diesem Tag Dr. Katharina Spora als leitende Notärztin ihren Dienst. „Es war immer schon mein Traum, bei der Flugrettung zu arbeiten. Neben meiner Vollzeitstelle am Uni-Klinikum Innsbruck komme ich für zwei bis drei Dienste im Monat hier herauf auf den Hangar in Hinterglemm. Auch ich habe für diesen Dienst eine zusätzliche Alpinausbildung absolviert“, erklärt sie, während sie den großen roten Arzt-Rucksack aus dem Hubschrauber holt. Zwar wird auch dieser Notfall-Rucksack nach jedem Einsatz vom Arzt sofort wieder aufgefüllt, doch das Durchchecken gehört zur morgendlichen Routine. Konzentriert betrachtet sie die unterschiedlichen Ampullen und Gerätschaften. Staunend beobachte ich, wie zielsicher sie in dem Rucksack alles findet, und sie lacht: „Jeder Notfall-Rucksack ist nach demselben System eingerichtet. So weiß ich beim Öffnen genau, wo ich was finde. Das Arbeiten im Gelände ist eine Herausforderung, denn als Arzt bist du oft alleine mit dem Patienten und Kälte und Wind erschweren die Versorgung. Das macht einen großen Unterschied zur Arbeit im Krankenhaus, und doch gehe ich jedes Mal mit großer Freude in den Dienst. Jetzt überprüfe ich noch die medizinischen Geräte an Board.“
Flugvorbereitungen am Computer
Nach diesem täglichen Check trifft sich die Crew im Aufenthaltsraum des Stützpunkts. Jeder ist bereits in voller Ausrüstung, und Toni Voithofer erklärt: „Sitzgurt, Funk, Lawinenpieps und feste Bergschuhe werden bis zum Dienstende ständig getragen. Wir wissen ja nie, welcher Einsatz auf uns zukommt und so sind wir immer für alle Aufgaben gerüstet.“ Pilot Shannon Harding hat am Computer bereits alle nötigen Infos für die Flugvorbereitung eingeholt. Er checkt die Webcams im Einsatzgebiet, liest Wetterkarten und berechnet das Gesamtgewicht des Hubschraubers für die kommenden Einsätze. Währenddessen liest Flugretter Toni Voithofer den aktuellen Lawinenbericht und über Telefon meldet er um punkt 7:30 Uhr den Leitstellen in Tirol und Salzburg die Einsatzbereitschaft des Hubschraubers Martin 6.
Jetzt ist Zeit für ein gemeinsames Frühstück – sofern über Funk nicht plötzlich ein Einsatz gemeldet wird. Doch mit einem Blick aus dem Fenster, auf den immer noch wütenden Schneesturm, stellt Pilot Shannon Harding fest: „Momentan könnten wir aufgrund der fehlenden Sicht nicht starten. Ich habe im Flug die volle Verantwortung für die Crew und unsere Sicherheit hat erste Priorität.“ Seit dem 1. Dezember 2004 ist der Rettungshubschrauber MD902 Explorer nun in Hinterglemm stationiert. An Board ist alles für eine intensivmedizinische Betreuung des Patienten eingerichtet. Betreiber ist die lokale Firma „Wolf Helicopter“ und der Flugbetriebsleiter ist Heli Austria. Jeden Tag von 7:00 Uhr bis in die Abendstunden ist der Stützpunkt ganzjährig von der Crew besetzt, und an starken Tagen hebt der Hubschrauber bis zu neunmal für Rettungseinsätze ab.
Kein Einsatz ist Routine
Toni Voithofer erklärt den Ablauf eines Einsatzes: „Alarmiert werden wir über die Leitstelle, die über den Notruf 144 vom Pistenretter oder Verunfallten kontaktiert wurde. Flugretter und Pilot machen dann unverzüglich die Maschine startklar und der Doc drückt den Not-Aus-Knopf, der den Strom im Stützpunkt ausschaltet. So stellen wir sicher, dass in der Eile des Aufbruchs keine Herdplatte übersehen wurde. Nach 30 Sekunden sitzen wir im Hubschrauber und die Rotorblätter drehen sich. In fünf Minuten Flugzeit erreichen wir jeden Punkt im Skicircus. Mit der Erstinformation kann sich der Arzt schon auf den Einsatz vorbereiten, doch wir wissen eigentlich nie genau, welche Herausforderung auf uns wartet und kein Einsatz ist Routine! Im Idealfall weist uns ein Pistenretter oder Helfer an einem abgesicherten Landeplatz in der Nähe des Patienten ein. Das ist wichtig, denn durch den Abwind der Rotorblätter verwirbelt der Schnee und sorgt für ein ,Whiteout’. Der Pilot ist dann auf den Einweiser als Referenzpunkt angewiesen. Wenn ein Landen im Gelände nicht möglich ist, wird der Arzt schwebend abgesetzt und danach ein geeigneter Landeplatz gesucht. Ich bereite dann alles für eine Tau-Bergung vor und entscheide gemeinsam mit dem Piloten über die Tau-Länge. Nach der Erstversorgung wird der Patient in den Tau-Sack umgelagert und gemeinsam mit dem Arzt vom Flugretter am Seil hängend zum nächsten Landeplatz gebracht. Dort wird der Patient in den Hubschrauber geladen und anschließend ins Krankenhaus geflogen. In Koordination mit der Leitstelle übermittle ich dem Krankenhaus unser Aviso, damit dort alles für den Patienten vorbereitet ist. Während der Notarzt nach der Landung im Krankenhaus den Patienten ans Ärzteteam übergibt, lade ich die im Krankenhaus deponierte Ersatz-Trage in den Hubschrauber. Denn nach dem Einsatz ist vor dem Einsatz und es kann sein, dass wir bereits zu einem Folgeeinsatz gerufen werden. Zwischendurch erfolgt die schriftliche Dokumentation der Einsätze. Wir protokollieren alle Details – von der Flugzeit bis zu medizinischen Details.“
Einsatz für Martin 6: vom Standby-Modus auf 100%
Die Crew ist ein gut eingespieltes Team und im Aufenthaltsraum wird gescherzt und gelacht. „Das ist wichtig, denn sobald der Pager piepst, müssen wir uns blind aufeinander verlassen können. Wir wechseln in Sekundenschnelle vom entspannten Standby-Modus auf hundertprozentige Konzentration. Dann muss jeder Handgriff sitzen und wir unterstützen uns gegenseitig. Nach belastenden Einsätzen sitzen wir auch zusammen und sprechen gemeinsam darüber – das hilft“, erzählt die Notärztin. Es ist langsam Mittag geworden, das Wetter hat sich einigermaßen beruhigt, und das Team bestellt in der nahen Gerstreitalm ihr Mittagessen. „Schweinsbraten mit Knödel und Kraut“, verkündet Dr. Katharina Spora begeistert. Doch als die Mahlzeit dampfend und verlockend am Tisch des Stützpunkts steht, dringt aus dem Pager ein eindringlicher Alarmton. Aus dem Funk ist zu hören: „Einsatz für Martin 6…“ und schon springt die Crew auf und ist unterwegs zu ihrem ersten Einsatz des Tages. Der Schweinsbraten dampft einsam vor sich hin und muss bis zur Rückkehr des Teams warten. Auch das ist Alltag der Rettungsmannschaft.
Air-Rescue-Video
Fotograf Richard Ronacher aus Viehhofen hat 2016 einen Film über die Arbeit der Flugrettung Martin 6 gedreht. Darin sieht man auch, wie eine Alarmierung der Crew und eine Seilbergung abläuft.