Journalistin, Texterin, Bloggerin, Weltenbummlerin und Autorin. Maria Kapeller ist leidenschaftlich gerne unterwegs und berichtet noch lieber darüber. Und obwohl die Salzburgerin selbst regelmäßig reist, hat sie in ihrem neuen Buch ‚Lovely Planet‘ einen kritischen Blick auf das ‚Unterwegs-sein‘ geworfen. Wir haben uns mit ihr getroffen und über die Widersprüchlichkeiten im Reisen, ganzheitliche und neue Perspektiven und ihre Lieblingsplätze im SalzburgerLand gesprochen. Ein Interview, das an manchen Stellen weh tut, aber auch viel Positives enthält.
Frau Kapeller, Sie sprechen in ihrem Buch vom nachhaltigen Reisen. Ist diese Kombination nicht an sich schon ein Widerspruch in sich?
Da haben Sie recht. Nachhaltigkeit heißt ja ursprünglich, sich nur so viel von einer Sache zu nehmen, wie wieder nachkommt. Das machen wir ja beim Reisen definitiv nicht. Wir blasen Emissionen in die Luft, wir verschwenden Wasser, wir konsumieren Kulturen. Nachhaltigkeit ist ohnehin ein überstrapaziertes Wort, das wir meistens nicht korrekt benutzen. Deshalb verwende ich in puncto Reisen mittlerweile lieber den Begriff „verträglicher“. Die verträglichste Reise wäre es tatsächlich, daheim zu bleiben und eine Runde durch den Wald zu spazieren.
Wie würden Sie sich denn selbst kurz und knackig beschreiben?
Ich würde sagen, ich bin jemand, der das Leben an sich als Reise betrachtet. Und diese Reise ist spannender als jede Sehenswürdigkeit, wenn man sich darauf einlässt.
Sie nennen sich auf Ihrem Blog eine ‚leidenschaftliche Langsamreisende‘. Wie sieht denn eine Reise bei Ihnen aus?
Von außen betrachtet vermutlich sehr unspektakulär. Ich kenne weder die hippsten Orte noch die günstigsten Flugverbindungen. Langsam zu reisen heißt für mich, mich gemächlich fortzubewegen und mir ausreichend Zeit zu nehmen. Das kann man im Zeitfenster eines Tages genauso machen wie in einem Zeitrahmen von mehreren Wochen oder Monaten. Das Reiseziel und die Art des Reisens passe ich an die Menge an Zeit an, die ich dafür habe. Am liebsten lege ich die Uhr ab und schalte das Handy aus, wenn das möglich ist. Für mich heißt Langsamreisen genauso, mit dem Postbus an den Fuschlsee zu fahren wie mit Zug und Bus durch Europa oder darüber hinaus. Ich takte wenig durch, freue mich mal am Alleinsein, mal an Begegnungen, mal über ein sauberes Bett nach einer Tageswanderung oder über ein frisch gekochtes Essen.
Ihr Buch versucht, ganzheitliche und neue Perspektiven auf das alte Sehnsuchtsthema Reisen einzunehmen. Warum reisen wir Menschen denn so gerne?
Es heißt, dass das Reisen dem Menschen inne ist. Tatsächlich waren wir früher Nomaden, bis wir vor rund 10.000 Jahren sesshaft wurden. Gereist sind wir trotzdem weiterhin, etwa um zu pilgern oder zu handeln. Heute reisen wir unter anderem, um dem Alltag zu entkommen und uns zu erholen. Das Reisen lässt uns Abstand zu den alltäglichen Aufgaben und Belastungen einnehmen. Wir erhalten andere Sinneseindrücke, was inspirierend sein kann. Reisen hat aber auch viel mit Flucht, der Suche nach Glück im Außen und mit Status zu tun. Heute sind wir außerdem nicht mehr zu Fuß oder in der Pferdekutsche unterwegs, sondern oft sehr umweltschädlich, etwa mit dem Flugzeug.
Was macht das Unterwegs-sein mit uns? Und vor allem: wofür machen wir es?
Angesichts der multiplen Krisen auf der Welt müssen wir uns tatsächlich fragen: Warum reisen wir überhaupt noch? Ich denke, die Antwort liegt in einer auf Kapitalismus und Funktionieren-Müssen aufgebauten Gesellschaft. Das Reisen ist symbolisch der letzte Leuchtturm einer Freiheit, die wir innerlich herbeisehnen. Beim Reisen sind wir aufmerksamer, offener und aufnahmefähiger. Wir fühlen uns besser als daheim. Das liegt aber nicht an der Reise per se. Sondern daran, dass wir den Alltag loslassen und Hirn und Herz sich trauen, ein bisschen freier zu werden.
Sie sprechen von einer sinnstiftenden Art des Reisens, die wir erreichen sollen. Wie sieht diese denn aus, bzw. gibt es eine Art des Reisens, die für alle beteiligten Parteien, also auch die Umwelt, die Menschen, die am Ziel der Reise leben… Sinn macht?
Glück können wir beim Reisen schnell mal finden. Glück ist aber nicht gleich Sinn. Bei der Recherche für mein Buch hat mir eine Sinnforscherin erklärt, dass Sinn immer im Kontext zu betrachten ist. Wenn wir also sinnstiftend reisen möchten, müssen wir auch mitbedenken, was unsere Reiselust und unsere Glückssucht für die Umwelt und für andere Menschen bedeuten und welche Werte wir als Gesellschaft und als Einzelpersonen haben. Reisen und Tourismus sind in ein generell sehr unfaires Weltsystem eingebettet und da schwer herauszunehmen. Das Reisen wird dann verträglicher und sinnstiftender, wenn die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ausgeglichener werden. Das heißt, wenn die soziale Ungleichheit reduziert wird und die Klimawende mit grüner Mobilität etc. gelingt. Ob wir künftig sinnstiftend reisen, hängt demnach aus meiner Sicht vor allem von einem generellen Wandel unserer inneren Haltung und einer Systemtransformation ab. Aber natürlich können wir unabhängig davon versuchen, unter den aktuellen Gegebenheiten auf individueller Ebene sinnstiftend zu reisen. Nämlich so, dass wir uns bei jeder Reise aufgrund der eigenen Werte überlegen: Wie möchte ich unterwegs sein, damit nicht nur ich schöne Erlebnisse habe, sondern auch die Umwelt und die Menschen vor Ort profitieren oder zumindest nicht zu Schaden kommen?
Wofür haben Sie dieses Buch geschrieben?
Ich wollte eine Gegenwelt aufzeigen zur gängigen Reiseliteratur à la Sehnsuchtsorte und Weltreise-Guides. Mir ist es wichtig aufzuzeigen: Reisen ist ein extremes Privileg und purer Luxus. Wir Reisenden tragen deshalb eine immense Verantwortung. Bisher schauen wir aber lieber meistens weg und zerstören den Planeten mit unserer Art des Reisens. Gerade wir Reisenden, die wir uns so gern als weltoffen und neugierig betrachten, sollten aber reflektieren und gemeinsam überlegen, wie eine andere Art des Reisens aussehen könnte.
Haben wir aktuell verlernt zu reisen, indem wir nur mehr in den Urlaub fahren?
Dazu muss man sagen: Wir Menschen brauchen Erholung, um im Alltag überhaupt funktionieren zu können. Eine Möglichkeit dafür ist, in den Urlaub zu fahren. Wie weit weg wir dabei von daheim sind, ist aber nebensächlich. Es geht um das Entbunden-Sein von den Pflichten und Herausforderungen des Alltags. Urlaub per se ist also nichts Schlechtes. Reisen hat den Ruf, abenteuerlicher, intellektueller und „authentischer“ als Urlaub zu sein. Im Prinzip ist heute jedoch beides eine jeweils andere Art von Konsum, über den wir uns je nach Zugehörigkeitsgefühl zu einer Gruppe definieren. Aber ja, das Reisen im Sinne von sich unvoreingenommen auf einen Ort einzulassen oder aus der eigenen Komfortzone zu treten ist in den Hintergrund gerückt, weil uns das Unterwegssein sehr einfach gemacht wird.
Welchen Ort möchten Sie unbedingt einmal besuchen?
Ich bin davon abgegangen, in diesen Kategorien zu denken. Ich habe nie verstanden, warum Menschen eine bucket list haben, die sie abarbeiten. Aber natürlich gibt es Orte, die ich gern mal sehen wollte. Japan etwa. Das hat aber damals wegen des Tsunamis nicht geklappt. Und es gibt Orte, mit denen ich mich verbunden fühle, etwa Irland und Schottland. Was mich geistig entspannen lässt ist der Gedanke an eine Holzhütte in einem verschneiten Wald, ausgestattet mit Büchern und Langlaufskiern. Mittlerweile bin ich dem Leben gegenüber noch dankbarer und demütiger als in jüngeren Jahren. Ich finde es wichtig, dass wir aufhören, uns durch unsere Reisen zu identifizieren. Können wir das überhaupt: ein gelungenes Leben haben, ohne ständig unterwegs zu sein oder jemals das Taj Mahal gesehen zu haben?
Sie leben ja an einem Ort, an dem andere Urlaub machen. Was schätzen Sie denn am Leben im SalzburgerLand?
Ich bin ja zum Studieren von Salzburg nach Oberösterreich gekommen, war zwischendurch in Wien und lebe jetzt am Land südlich der Stadt Salzburg. Ich schätze die gute öffentliche Anbindung, denn so komme ich mit E-Bike und Klimaticket aus. Auch die Wiesen und Wälder, die Berge, die kühlen Flüsse, die Almkultur und die regionalen Produkte empfinde ich als enormes Privileg. Sehr bedauernswert und problematisch sind zum Beispiel die extrem hohen Mieten, die vielen Zweitwohnsitze und leeren Anlegerwohnungen oder der Chalet-Wildwuchs im Land Salzburg. Unverständlich finde ich auch, dass in Zeiten von Energieknappheit weiterhin neue Flugverbindungen eingeführt werden. Auch das ist wichtig zu sagen, damit das Bild von Salzburg nicht zu einseitig bleibt.
Wenn Sie Besuch bekommen, welchen Platz im SalzburgerLand zeigen Sie immer her?
Das kommt natürlich ganz darauf an. Meistens Orte in der näheren Umgebung, unter der Woche etwa das Bluntautal oder die Taugl. Mit wanderfreudigen Gästen geht’s auch mal in Richtung Faistenau, Hintersee, St. Kolomann oder auf die Werfener Hütte. Und zum Erfrischen an den Fuschlsee und Wolfgangsee, die beide sehr gut mit dem Postbus erreichbar sind.
Fahren Sie lieber fort oder kommen Sie lieber nach Hause?
Das kommt ganz auf die Situation darauf an. Beides ist mit Vorfreude verbunden. Fortfahren ist ja eigentlich dann am schönsten, wenn man gern auch wieder heimkommt.
Kann achtsames Reisen auch Spaß machen? Was verpasst man, wenn man sich nicht darauf einlässt, keine allzu großen Spuren zu hinterlassen?
Ich kenne niemanden, der achtsam reist und etwas missen würde. Wobei ich mich da selbst nicht als Profi empfinde. Darum geht es auch nicht. Sondern darum, die gängige Reisepraxis zu hinterfragen und versuchen, es besser zu machen. Verträglich zu reisen ist ohnehin die einzige Antwort auf die Frage, ob und wie wir in Zukunft noch unterwegs sein können. Und es ist für viele, die ich kenne, die schönste Form des Reisens. Noch dazu bringt es nur Vorteile – für alle Beteiligten und für den Planeten. Das hört sich alles immer recht schwierig und kompliziert an. Aber im Prinzip wissen wir, wie es geht: Wenig oder gar nicht fliegen, mit Zug, Bus, Rad und zu Fuß unterwegs sein, lokale Unterkünfte, Restaurants und Lebensmittelgeschäfte bevorzugen, ein Hotel ohne Pool buchen, wenn man eh am See oder Meer ist – und so weiter. Was man verpasst, wenn man sich darauf nicht einlässt? Man zerstört eben genau das, was man so beeindruckend und sehenswert findet. Und das ist paradox.
Was glauben Sie, wie werden wir in 10 Jahren reisen?
Womöglich können wir uns das nicht mehr aussuchen, sondern müssen uns an die Gegebenheiten anpassen. Das Reiseleben ist ja jetzt schon einer immensen Transformation unterworfen, siehe gestiegene Energiepreise, Wassermangel, Chaos an den Flughäfen etc. Alles spricht dafür, dass wir nicht so weitermachen können. Es ist wie bei der Klimakrise auch: Entweder wir passen uns jetzt freiwillig an oder wir werden später dazu gezwungen. Was ich mir wünsche, ist: viel weniger reisen, viel lokaler reisen, viel verträglicher reisen. Und wenn es uns mal in die Ferne zieht, dann ist das eine extrem geschätzte Ausnahme, von der wir lange zehren. Ein global aufgeteiltes CO2-Budget für jeden Menschen könnte helfen, dass auch die Vielflieger*innen und Überreichen ihren ökologischen Fußabdruck stark reduzieren.
Gibt es kleine Dinge, die wir sofort beim Reisen umsetzen können, die aber eine große Wirkung haben?
Das klingt verlockend: Wenig tun und viel damit erreichen. Im Prinzip müssen wir aber unser Reiseverhalten völlig neu denken, wenn wir irgendwann überhaupt noch in einer halbwegs intakten Welt leben und vielleicht auch noch reisen möchte. Deshalb würde ich als ersten Schritt vorschlagen: Wir müssen darüber reden, warum wir so oft verreisen, was das für den Planeten bedeutet und was wir im Alltag ändern können, um nicht ständig weg zu wollen. Und uns muss klar werden, dass Reisen nicht zu den Grundbedürfnissen zählt und wir hier deshalb am ehesten einsparen und reduzieren können. Und wenn wir dann reisen, gibt es natürlich unzählige Maßnahmen, die wir umsetzen können, wie oben aufgezählt. Eigentlich wissen wir genau, wie es geht. Wir müssen uns nur von alten Mustern und Glaubenssätzen lösen, neue Standards setzen und ins Tun kommen.
Das Sachbuch „Lovely Planet. Mit dem Herzen reisen und die Welt bewahren“ von Maria Kapeller ist im Frühjahr 2022 im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen.
©alle Bilder: Jasmin Walter_FAV