Der Pinzgau verwandelte sich am 2. Februar 2014 zum traditionellen „Roßgau“. 90 Pferdeschlitten und Reitergruppen, weit über 100 Norikerrösser sowie 500 aktive Teilnehmer aus dem gesamten Pinzgau kamen zum großen „Trachtenschlitten- und Brauchtumsfest“, um mit einer Schaufahrt durch die Innenstadt von Zell am See authentische, unverkitschte Volkskultur zeigen.
Eine lange Geschichte hat das „Goaßlfahren“, das meist zu besonders festlichen Anlässen und geschichtlichen Meilensteinen von der bäuerlichen Bevölkerung feierlich zelebriert wurde. Ein Blick in die Chronik zeigt, dass bereits um die Jahrhundertwende, beim 1. Wintersportfest in Zell am See oder bei der Stadterhebung mit Einweihung der Seilschwebebahn auf die Schmittenhöhe im Jahr 1928, ein „Altpinzgauer Pferdeschlittenschaufahren“ durchgeführt wurde. Ein Gespann, das bereits damals für große Beachtung und Applaus bei den Zusehern sorgte, ist das „Kammerer-Goaßl“ aus dem Jahr 1840 – ein wertvolles Unikat eines geschnitzten Pferdekorpus.
Für das SalzburgerLand Magazin spannt Matthias Neumayer, Wirt des Landgasthofs „Schloss Kammer“ in Maishofen, schon vor dem Trachtenschlittenfest seine 19-jährige Norika-Stute „Fanny“ vor´s Goaßl, um eine Runde im frischen Pulverschnee zu ziehen. Während große weiße Schneeflocken sachte aus dicken Schneewolken fallen, steht Fanny geduldig vor dem 1582 erbauten Traditionsbetrieb und wartet auf das Einspannen. Hilfreich zur Seite steht Matthias Neumayer dabei heute Beni Rainer, einer der besten Warmblut-Pferdezüchter und –Ausbildner des Landes. Der Maishofner redet der Stute gut zu, während das original Rollen-Kummet mit den lauten Schellen angelegt wird und erklärt lachend: „Heut fungiere ich als ,Schinagl’ – also als Gehilfe des Rossbauern. Das Wissen um’s richtige Einspannen wurde nirgends dokumentiert, da braucht es Erfahrung und man muss schauen, dass alles passt.“ Das 200 Jahre alte Muschelgeschirr wird nun befestigt und ich erfahre, dass es dieses wertvolle Geschirr nur im Pinzgau gab und es von großem Reichtum des Bauern zeugte. Über die Samerwege wurden diese Muscheln früher aus dem Süden ins SalzburgerLand gebracht und waren auch als Zahlungsmittel in Verwendung.
Das „Kammerer-Goaßl“
Etwas skeptisch beäugt die Fanny den Schlitten, vor den sie nun gespannt wird und leise protestierend schnaubt sie kleine Dampfwolken aus ihren Nüstern. Das „Kammerer-Goaßl“ ist ein aus Holz geschnitzter, ausgehöhlter Pferdekorpus auf Kufen, der nun mit Stangen an das Halbgeschirr der Stute befestigt wird. Matthias Neumayer, der beim Trachtenschlittenumzug bereits zum dritten Mal das Goassl lenken wird, erzählt über die Geschichte des Schlittens: „Vor dem Zeitalter der Autos und Traktoren, als die Rösser noch das primäre Fortbewegungsmittel waren und für alle Arbeiten in der Landwirtschaft eingesetzt wurden, hatten sie bei den Bauern einen großen Stellenwert. Und neben der Arbeitsleistung bedeuteten sie auch Ansehen – ein reicher Bauer hatte die schönsten Rösser und Schlitten und stellte sie bei feierlichen Ausfahrten auch zur Schau. So war auch dieses Rössl ein reines Prestige-Fahrzeug, das der Bauer bei schönem Wetter an Sonntagen einspannte, um seine Frau zur Kirche zu fahren oder damit durch den Ort zu traben. Das Rössl ist innen hohl um darin Proviant oder Gepäck zu verstauen.“
Fertig eingespannt führt Beni Rainer die Stute nun auf das Gelände des hauseigenen Skilifts, während Matthias Neumayer am hölzernen Rössl sitzt und fest die Zügel in der Hand hält. Schnell findet Fanny Gefallen an der bevorstehenden Ausfahrt und trabt zügig durch den staubenden Pulverschnee. Das Gebimmel der Schellen, das Fußgänger auf das nahende Gefährt aufmerksam macht, und viel früher, als Luchs und Wolf in unseren Breitengraden noch heimisch waren, einen Angriff des Raubwilds abwehren sollte, wird langsam leiser.
Die Wiedergeburt des Trachtenfahrens
Bis das Gespann von dieser Trainingsrunde zurückkehrt erzählt mir Wilfried Bauer, Gemeindesekretär von Maishofen, über das wiederauferstandene Brauchtum rund um die Pferdeschlitten: „Nachdem die Traktoren die Arbeit der Pferde in der Landwirtschaft übernommen hatten, erfolgte nach den 50er-Jahren ein ziemlicher Einbruch in dieser Tradition der Schaufahrten. Wenige Bauern hielten sich noch Pferde und die traditionellen Geschirre und Schlitten verrotteten oft in den Dachkammern. Erst seit den späten 70er-Jahren haben Brauchtumsvereine im ganzen Pinzgau die alte Tradition wieder zu ihrem Hobby erkoren und begonnen das alte Material zusammenzutragen und zu restaurieren. 1978 begann der Porsche Reitclub, unter der Führung von Helmut Hierner, Martin Petrousek und Fritz Morokutti, das Trachtenfahren wieder zu beleben. Waren es damals nur 18 Schlitten, so beweist die heutige Schlittenzahl von 90 die erfreuliche Trendwende hin zu gelebter Tradition und geschätztem Brauchtum in der Bevölkerung. Alleine der Ort Maishofen stellte bei der Veranstaltung am 2. Februar 9 Gespanne unter dem Motto ,Prä-Eisschießen der Maishofner Bauern gegen die Zeller Bauern’.“
Beim Trachtenschlittenumzug in Zell am See waren traditionell zwei Schlittenformen im Einsatz: das „Goaßl“ und das „Böndl“. Das Goaßl ist ein leichter Schlitten, auf dem die Personen hintereinander Platz nehmen. Das Böndl, bei dem Fahrer und Beifahrer nebeneinander sitzen können, bietet zudem durch die Möglichkeit, sich in warme Decken zu packen, auch Schutz bei schlechtem Wetter. Jeder Ort vertrat im Festzug ein eigenes Motto, so konnten die Zuseher die unterschiedlichsten alten Verwendungsformen der Schlitten bewundern: Die Eisschneider, den Störschuster, die Goldene Hochzeit, die ,Einheigafahrt‘ oder das Milchführen vom Hof zum Bahnhof.
Der im Pinzgau tief verwurzelten Liebe zur Pferdehaltung und zum echten Brauchtum ist es zu verdanken, dass eine starke Bindung zu den Norikerpferden erhalten blieb und die Schlitten und Geschirre nicht nur mehr in Museen zu bewundern sind, sondern wie am 2. Februar in Zell am See aus nächster Nähe im Einsatz bewundert werden konnten.
Ein Video-Beitrag über das Trachtenschlitten- und Brauchtumsfest: