„Falknerei ist die Kunst einen Greifvogel an sich zu binden, indem man ihm immer wieder die Freiheit schenkt!“
Als ich am frühen Morgen beim Falknerhaus auf der Burg Hohenwerfen ankomme, verschnaufe ich nach dem steilen Anstieg erst einmal und sehe mich um. Der Burggarten, in dem sich neben dem ersten Falknereimuseum und einem Greifvolgellehrpfad auch die Falknerei befindet, ist gepflegt und das satte Grün des Rasens lädt zum Rasten ein. Der leise Ruf eines Vogels ganz in meiner Nähe erweckt meine Aufmerksamkeit und meine Augen suchen die Quelle dieses Geräuschs. Hinter der Hecke, die den Besucherbereich zum Garten des Falknerhauses abgrenzt, trifft mein Blick auf zwei große schwarze Augen, die mich wohl schon eine Weile beobachten. Ein Sakerfalke sitzt auf seinem Falkenblock und genießt entspannt die warmen Sonnenstrahlen. Während ich ihm fasziniert zusehe, wie er sorgfältig sein glänzendes Gefieder putzt und ordnet, öffnet sich die Tür zum Falknerhaus und Falknermeister Josef Hiebeler begrüßt mich freundlich – mit dem Staubsauger in der Hand. Seit sechs Uhr sind die fünf Falkner auf Hohenwerfen schon unterwegs um alle Greifvögel zu versorgen und jetzt wird noch das Faknerhaus und die gesamte Ausrüstung geputzt, denn, so erklärt der Falknermeister: „Sauberkeit ist höchstes Gebot für einen Falkner!“
Seit 18 Jahren leitet Josef Hiebeler den Landesfalkenhof auf der Burg Hohenwerfen und der gebürtige Allgäuer gilt international als Experte der Falknerei. Über 25 Jahre lang verbrachte er immer wieder viel Zeit in Kasachstan und Kirgisien, um von den einheimischen Falknern zu lernen. Mönchs- und Lämmergeier, Bussarde, Falken, Milane, Adler und Eulen sind auf der Burg Hohenwerfen beheimatet und stammen meist aus eigener Zucht. Der Staubsauger ist verstummt und Josef Hiebeler bittet mich ins Haus zu Kaffee und selbstgebackenem Kuchen. „Das Backen mit alten Kuchenformen ist ein kleines Hobby von mir,“ verrät mir Josef Hiebeler lachend und stellt einen duftenden Gugelhupf auf den Tisch, während er mir von der Geschichte der Falknerei erzählt. „Die Falknerei hatte ihre europäische Hochblüte im Mittelalter, wo Staufenkaiser Friedrich II. nicht nur selbst begeisterter Anhänger der Beizjagd und Erforscher der Greifvögel war sondern mit seinem Buch ‚de arte venandi cum avibus’ (Über die Kunst, mit Vögeln zu jagen) ein bis heute viel gelesenes Standardwerk für die Falknerei geschaffen hat.
Greifvögel haben die Menschen schon von jeher fasziniert – für die einen waren sie etwas Göttliches, für die Falkner ein Jagdgefährte, Freund und Wegbegleiter. Leider aber auch für viele ein unerwünschter Mitjäger und Beute-Konkurrent, weshalb man aus Unwissenheit manche Arten durch Abschuss fast ausrottete. Mittlerweile haben Jäger und Gesellschaft aber längst Unweltverständnis und biologische Zusammenhänge gelernt und die Greifvögel für die Zukunft wieder eine Chance bekommen. Die Greifvogel-Bestände in freier Wildbahn haben sich heute weitgehend erholt und ein großer Meilenstein für die Erhaltung der sozialen Kulturtradition der Falknerei war die Ernennung zum immatriellen Weltkulturerbe der UNESCO im Jahr 2010. Die Falkner haben nun den Auftrag, dieses Erbe verantwortungsvoll zu pflegen und die Falknerei unter Berücksichtigung des Tierschutzgesetzes auszuüben.“
Nach diesem kurzen Ausflug in die Geschichte der Falknerei nimmt mich Josef Hiebeler mit auf einen Rundgang durch das großzügige Areal des Landesfalkenhofs. Auf meine Frage, was einen guten Falkner ausmacht, antwortet Josef Hiebeler, während er den europäischen Seeadler von der Schaukel nimmt und in seinen Unterschlupf trägt: „Gewissenhaftigkeit, Verantwortungsbewusstsein, Hingabe und eine gewisse Sportlichkeit.“ Letzteres bestätigt sich allein durch die vielen Kilometer, die die Falkner beim Betreuen ihrer Vögel hier im steilen Gelände des Landesfalkenhofs Hohenwerfen täglich zurücklegen.
Sobald die Greifvögel im Vorbeigehen die Stimme von Josef Hiebeler hören, antworten sie mit einem Ruf, was die enge Beziehung zwischen Vogel und Falkner zeigt. Der junge Steinadler, den der Falknermeister jetzt von der Schaukel auf die Faust nimmt und zum täglichen Abwiegen bringt, schmiegt sich an ihn und kein Bild könnte mir mehr die Hingabe des Falkners und das Vertrauen des Greifvogels verdeutlichen. „Ein Steinadler ist kein Spielzeug und kein Vogel für jeden Falkner,“ erklärt er mir. „Durch seine Kraft, Eleganz und Stärke beeindruckt er die Menschen schon seit jeher. Mehr als jeder andere Vogel hat der Steinadler Profil und Charakter und besitzt ein für Vögel unglaubliches Gedächtnis. Sein Umgang erfordert vom Falkner besonders viel Erfahrung und hohes Verantwortungsbewusstsein.“
Weiter führt uns unser Weg vorbei an den Volieren der Geier. Der Mönchsgeier ist mit seiner Flügelspannweite von knapp drei Metern einer der größten Greifvögelarten in Europa. Pedro ist einer der jungen Gänsegeier und wurde als verletzter Jungvogel in die Pflegestation des Landesfalkenhofs gebracht. „Er war damals mehr tot als lebendig und wurde mit viel Geduld und Mühe von uns wieder aufgepäppelt. Immer wieder werden verletzte Vögel zur Kurzversorgung auf unsere Pflegestation gebracht bevor sie im Normalfall wieder ausgewildert werden.“
Hoch oben im Turm der Wehranlage befindet sich das neu renovierte Steinadlerzimmer und der König der Lüfte fühlt sich hier sichtbar wohl. Entspannt sitzt er auf seinem Reck und döst im Sonnenlicht mit Rundum-Ausblick auf das Salzachtal. „Dieses Dösen ist ganz natürlich, auch in freier Wildbahn verbringt der Greifvogel die meiste Zeit des Tages damit. Nur zu Jagdzwecken und bei guter Witterung steigt er in die Lüfte um seine Energien zu schonen.“
Während wir unseren Rundgang beenden, hat sich der Burggarten mit zahlreichen Besuchern gefüllt. Die erste der Greifvogel-Präsentationen steht am Programm und Josef Hiebeler entscheidet mit einem Blick aufs Wetter welche Vögel heute geflogen werden: „Wir sind kein Zoo und kein Wildpark, wo die Vögel durch Gitterstäbe betrachtet oder gar gestreichelt werden können. Jeder unserer Vögel kommt zum Flug und wird abwechselnd dem Publikum präsentiert. Auch die Beizjagd gehört zu einer artgerechten Haltung und so dürfen die jagdlich ausgebildeten Vögel im Herbst und Winter mit auf die Jagd. So haben sie einen kompletten inneren Ausgleich. Die Greifvogel-Vorstellung vor einem breiten internationalen Publikum ist unsere einzige Lobby und die beste Öffentlichkeitsarbeit der Falknerei und fördert das Verständnis und die Sensibilisierung der Gesellschaft für die Greifvögel.“
Während der Vorführung erhalten die Besucher Einblick in die Geschichte der Falknerei und interessante Informationen zu jedem Flugakrobaten. Die Gewitterwolken in der Ferne versprechen gute Flugbedingungen. Die Schwüle des Tages wird langsam vom auffrischenden Gewitterwind vertrieben. Die Aufwinde erleichtern auch den großen Vögeln ein schnelles müheloses Aufsteigen. Der Sakerfalke, den ich am Morgen bei seinem Sonnenbad beobachtete, nutzt die Winde zu rasanten Manövern. Rasend schnell fliegt er über den Köpfen der staunenden Zuseher, steigt in die Höhe um sich gleich mit angelegten Flügeln, wie in Tropfen-Form, wieder in die Tiefe zu stürzen. Mit dem Federspiel – einer Beute-Atrappe, die der Falkner an einem Seil über seinem Kopf schwingt – wird die Jagdtechnik des Falken demonstriert. Blitzschnell stößt er nach unten, greift die Beute zielsicher in der Luft und landet mit dem Federspiel in den Fängen zu den Füßen des Falkners. Auch der schwere Seeadler, der nun majestätisch seine Kreise zieht, hat den Falkner immer im Blick. Sobald der Falkner seinen Arm mit dem festen Lederhandschuh hebt und zum Faustappell ruft, nähert er sich und landet punktgenau auf der Faust. Belohnt wird er mit kleinen Fleischhäppchen, doch ist es nicht der Hunger, der ihn an den Falkner bindet, sondern die enge Beziehung, die durch das tägliche Arbeiten, Versorgen und Fliegen nach falknerischen Grundsätzen mit den Vögeln entsteht.
Bruno, der schwere Gänsegeier, zieht nun seine Kreise und nach einer kleinen Zwischenlandung auf der Wiese des Burggartens nutzt er den Wind für einen ausgedehnteren Ausflug. Während die Vorführung nun zu Ende geht lausche ich den Reaktionen der Besucher, die nun langsam die natürliche Bühne verlassen: „Majestätisch!“, „Das sind wirklich die Könige der Lüfte!“, „So wunderschöne Vögel!“ sind nur ein paar der Aussagen, die ich aufschnappe und lächle still vor mich hin, denn hier hat die Öffentlichkeitsarbeit von Josef Hiebeler genau ihr Ziel erreicht.
Auf meinem Weg zurück ins Falknerhaus wird das Donnergrollen immer lauter. Alle Vögel werden jetzt liebevoll versorgt und wieder an ihre Plätze gebracht – nur Bruno fehlt. Doch Josef Hiebeler beruhigt mich: „Viele der Großgreifvögel und Geier sind oft für Tage im Wildflug unterwegs und dürfen frei die Gegend erkunden. Sie kommen dann aber immer gerne wieder zu uns zurück.“ Und ganz deutlich spüre ich, dass die Falkner erst dann wieder ganz entspannt und unbesorgt sein werden, wenn auch ihr Schützling Bruno wieder sicher von seinem Ausflug zurückgekehrt ist.
Oskar, ein befreundeter Falkner und Biologe aus Ungarn, der selbst sieben Jahre lang im Landesfalkenhof gearbeitet hat und in Werfen lebt, fertigt unterdessen im Falknerhaus weiches ledernes „Geschüh“ an. So nennt man die Lederriemen und Manschetten an den Füßen des Greifvogels, mit denen er am Block oder Reck gehalten wird. Sorgfältig achtet Oskar darauf, dass nichts scheuert oder die Füße der Greifvögel reizt während er mir von seinem eigenen Steinadler erzählt. In dem großen Raum sitzen rund um uns die behaubten Falken und Bussarde friedlich auf ihren Recks und scheinen Oskars Erzählungen genauso interessiert zu lauschen wie ich, als die Falkner von ihrer Versorgungs-Runde zurückkommen. Gerade noch rechtzeitig, bevor nun das Gewitter mit voller Kraft über die Burg Hohenwerfen hereinbricht.
Für mich ist es Zeit zu gehen und nur schweren Herzens verabschiede ich mich aus dieser harmonischen Atmosphäre zwischen Tier und Mensch. Dieser Blick hinter die Kulissen hat mir gezeigt, dass die Falknerei auf Hohenwerfen weit mehr ist, als nur die publikumswirksamen Flugvorführungen für die Besucher. Hier wird mit und vor allem für die Greifvögel gelebt und Falknerei ist hier kein kommerzielles zur Schau stellen sondern gelebtes Kulturerbe mit Wildtieren in menschlicher Obhut.
PS: Bruno ist mittlerweile wieder wohlbehalten von seinem Ausflug heimgekehrt – und er könnte uns sicher seine eigene Geschichte erzählen, was er bei seinen Flügen über das SalzburgerLand alles erlebt und gesehen hat.
Fotos: Edith Danzer