Roland Essl ist Koch, Gastrosoph und Hüter alter Rezepte. Von 2005 bis 2018 war er Wirt im österreichweit bekannten Weiserhof in der Stadt Salzburg. Essl hat sich mit vollster Hingabe alten, bodenständigen Gerichten und der Verarbeitung bester Zutaten verschrieben.
Heute bin ich zu Gast bei Roland Essl, privat in seiner Wohnung in Fuschl am See im Salzkammergut. Den Weiserhof hat er 2018 an Julian Grössinger übergeben. Seitdem gönnt er sich eine Auszeit und erforscht alte Rezepte. In seinem neuen Buch wird er seine Recherchen über die Wurzeln unseres kulinarischen Kulturgutes offenlegen.
Ein kulinarisches Geschichtsbuch mit Rezepten
„Es geht um das Historische – wie alles entstanden ist“. Damit meint Essl unter anderem die Volksbräuche und ihre Gerichte. Beispielsweise nach dem Abschluss von bestimmten Arbeiten. Da gab es das „Klemmbratl“ nach dem Dreschen oder das „Lichtbratl“, ab dem man im Herbst mit Kinspan aus harzigen Lärchenholz die finsteren Werkstätten und Stuben beleuchten durfte. Bei Hochzeiten bekam man ein „Pschoapackl“ wenn man verhindert war. Das betraf meistens die Kranken und Schwachen der Familie. Sie bekamen mit dem „Pschoapackl“ eine Portion von der Festtafel miteinen Bericht von den Feierlichkeiten nach Hause geliefert.
Essl beschreibt auch die Geschichte rund um die Entstehung des bayrischen Reinheitsgebotes (1517) für Brauereien. “Früher ist im Bier alles mögliche gelandet, wie Bilsenkraut-Samen oder Fliegenpilze – wichtig war, dass es berauschte. Das Reinheitsgebot war besonders der Kirche sehr wichtig – es ist eigentlich das erste Drogengesetz“, schmunzelt Essl. Das neue Buch ist also ein kulinarisches Geschichtsbuch aus der Welt der alpinen Küche, gespickt mit Rezepten aus der Alltags- und Festtagsküche.
Von der Kunst sich an die Grenze zu würzen
Wir sitzen am Küchentisch – es duftet nach frischem Brot. Ein Roggen-Sauerteigbrot ist gerade im Ofen. Am Tisch liegen einige Bücher – Kochbücher versteht sich. Und weitere Bücher, wie „das Lexikon der psychoaktiven Pflanzen“. Essl nimmt das dicke, schwere Lexikon in die Hand und erklärt: „Natürlich wirken auch Gewürze psychoaktiv: beruhigend, anregend – man kann bewusst eine Stimmung erzeugen.“
Heute hat man Zugang zu unglaublich vielen Gewürzen und Aromen und es gibt Küchengeräte mit allen Möglichkeiten. Für Essl ist es jedoch die Kunst, sich bei dieser Grenzenlosigkeit an die Grenze zu würzen. Er selbst beschreibt sich als „grenzenlosen Grenzgänger“. „Ich muss mich wie auf einen Berg hinaufwürzen – man muss sehr wachsam sein, um nicht die Grenze zu überschreiten. Wenn ich überwürze dann ist es, wie wenn ich beim Bergsteigen am Gipfel bin und hinten hinunter ins Seil falle. Das Schlimmste ist es zu übersalzen.“ Was das Würzen betrifft beschreibt Essl die Convenience Industrie als gipfellos. Geschmacklich ist man da in einer Komfortzone. Das ist eine Mittelmäßigkeit, die Essl verachtet.
Verhasste Mittelmäßigkeit
Ich bekomme einen Espresso serviert, dann räuchert Essl Lärchenharz und erklärt weiter: „Düfte, Stimmung, Ambiente – das alles ist sehr wichtig. Ich hasse Mittelmäßigkeit! Ein Wirtshaus muss charmant sein“. Essl erzählt mir weiter, dass das aber lange nicht alle Faktoren sind, um eine besondere Gastlichkeit zu erzeugen: „Eine freundliche Bedienung ist das Wichtigste überhaupt!“ Essl ist auch der Meinung: „Ein Küchenfehler ist lang nicht so schlimm wie unfreundliches Personal. Das Essen allein macht es nicht aus. Es geht um das Gesamte. Wichtig ist auch die Wertschätzung gegenüber dem Personal: Weiterentwicklung, pünktliche Bezahlung und familienfreundliche Arbeitszeiten.“ Essl hat diese Philosophie als Gesamtkunstwerk im Weiserhof erlebbar gemacht. Sein Erfolg gab ihm Recht.
Pongauer Fleischkrapfen und Stinkerknödel
Im Weiserhof kochte Essl „Gerichte mit Geschichte“ wie beispielsweise Pongauer Fleischkrapfen mit Sauerkraut, Pinzgauer Erdäpfelnidei oder Stinkerknödel. Der Weiserhof wurde österreichweit bekannt. Die Gäste schätzten die ganz besondere Qualität zu bürgerlichen Preisen. Die Geschichten rund um seine Zutaten und Gerichte erzählte Essl seinen Gästen damals gerne ganz persönlich. Wenn es die Arbeiten in der Küche erlaubten, gesellte er sich zu seinen Gästen und es begann eine kulinarische Zeitreise. Später war das zeitlich nicht mehr möglich. Schließlich konnte man die Geschichten der alten Rezepturen in der Speisekarte nachlesen. Vertiefung findet man in seinem ersten Buch „Geschmackssache“. Es ist ein Rezeptbuch mit Basis-Rezepten aus Essls Wirtshausküche.
Das kulinarische Erbe der Alpen
Ursprüngliche Zutaten und alte Rezepte der Hausmannskost waren bei Essl bereits Thema als er noch mit seinem Vater, Günter Essl, im Braugasthof Krimpelstätter kochte. Später kochte er im Team von Reinhard Gerer in Wien auf 4-Hauben Niveau. Die Haubengastronomie stellte Essl aber nicht zufrieden. Schließlich eröffnete der Gastronom 2005 sein eigenes Wirtshaus im Weiserhof und führte es nach seiner Überzeugung.
Die Leidenschaft für die Rezepte- und Lebensmittelforschung entbrannte erst so richtig (2012) mit dem Buch von Dominik Flammer „Das kulinarische Erbe der Alpen“. Mit Dominik Flammer fand er einen Gleichgesinnten und guten Freund. „Dominik kommt aus dem Journalismus und ich komme aus der Küche, wir ergänzen uns dadurch sehr gut. Es gibt immer einen regen Austausch“, freut sich Essl. In Salzburg sehen sich die beiden jedenfalls abwechselnd als Gast oder Vortragender beim Eat & Meet Kulinarik-Festival in der Salzburger Altstadt.
Essls Lieblingskochbuch „Die bayrische Köchin in Böhmen“
Essl zeigt mir sein Lieblingskochbuch. Es war ein Geschenk eines alten Salzburger Ehepaares. „Sie hatten ihre Wohnung wegen der Übersiedlung ins Altersheim ausgeräumt und sind mit diesem Schatz zu mir gekommen“ so Essl. „Wenn’s nur daraus kochen“, haben sie Essl gebeten. Und das tut Roland Essl mit vollster Leidenschaft. Das Kochbuch ist von 1810 und wurde von Anna Neudecker verfasst. Essl liest mir ein paar Zeilen des Vorwortes vor und sagt schmunzelnd: „Schon damals schreibt die Köchin über den Überfluss an Kochbüchern!“
Neues Buch – neues Wirtshaus oder Kochschule
Essl will bald wieder den Kochlöffel in die Hand nehmen. Er hat bereits eine Lokalität in Aussicht. Man darf sich also darauf freuen, bald wieder in den Genuss von „Gerichten mit Geschichte(n)“ zu kommen. Das neue Buch, über dessen Titel er noch grübelt, erscheint im Sommer 2021.
Kontakt:
Roland Essl – Alpenkulinarik
T: +43 664 7378 8864
alpenkulinarik@rolandessl.at