Fern ab von vorweihnachtlichem Konsumrausch, Jingle-Bells-Dauerberieselung und Santa-Doubles verbringt Roswitha Huber auf der Kalchkendlalm in Rauris ihre Adventszeit. Mein letzter Besuch bei der „Eigenbrötlerin“ ist vier Monate her und im Juli verriet sie mir, dass sie sich noch nicht an die kurzen Tage und einsamen langen Abende des Winters zu denken getraut. Höchste Zeit also, zu sehen, wie es ihr mit ihrem selbst auferlegten Verzicht auf Mobilität, Strom und moderner Kommunikation geht.
Ein früher Wintereinbruch mit starken Schneefällen sorgt bei meinem Fototermin zwar für die perfekte Stimmung um mit Roswitha Weihnachtskekse zu backen, doch ganz ehrlich, wäre sie telefonisch erreichbar gewesen, hätte ich aufgrund der schlechten Witterung über ein Verschieben des Termins nachgedacht. Doch telefonisch erreicht man Roswitha seit sechs Monaten nicht mehr, also stapfe ich mit Andrea, die sich als ortskundiger Begleitschutz für dieses Schnee-Abenteuer angeboten hat, tapfer auf den Berg.
Halbzeit im autark-leben-Experiment
Meinen Besuch habe ich von langer Hand schriftlich angekündigt, denn Roswitha ist mitten in ihrem Selbstexperiement: Im Mai ist sie vom Tal auf die Kalchkendlalm auf 1 200 m Seehöhe gezogen, um dort ein Jahr ohne Strom, Auto, Handy oder PC zu verbringen. 365 Tage lang will sie weitgehend autark als Selbstversorgerin auf der Alm leben. Mit nur geringen landwirtschaftlichen Vorkenntnissen startete sie in ihr Experiment und will nur von dem leben, was sie selbst in ihren Gemüsebeeten angepflanzt hat und was sie aus ihrer kleinen Viehhaltung erwirtschaften kann.
Tiefverschneit liegt sie nach dem Aufstieg in friedlicher Ruhe vor uns, die Kalchkendlalm. Nur das Knirschen des Schnees und das leise Glockenbimmeln von Roswitha´s Ziegenherde begleitet uns auf den letzten Schritten durch den Hof. Der Schneefall macht kurz Pause und gibt den Blick auf die umliegenden Berge frei. Das Gemüsebeet liegt unter einer dicken Schneedecke und selbst der Brotbackofen ist heute kalt und leer. Doch der Rauch, der sich zwischen den dicken Schneeflocken seine Weg aus dem Schornstein bahnt, zeigt an, dass Roswitha zu Hause ist und uns bereits erwartet. Und schon öffnet sich die Tür und die strahlenden Augen der 57jährigen heißen uns willkommen. Sie wirkt in sich ruhend und zufrieden und bittet uns herein.
„Jetzt hab ich Halbzeit…,“ sinniert Roswitha, während wir es uns bei Kaffe und Butterbrot in der warmen Stube gemütlich gemacht haben. „Ich bin weit noch nicht dort angelangt, wo ich mit meinem Experiment hin wollte, doch ich bin auf einem guten Weg. Das selbstbestimmte Alleinsein ist nicht so einfach, wenn man auch finanziellen Verpflichtungen nachkommen muss. Ich habe Familie und muss weiterhin Geld verdienen durch meine Brotbackkurse hier auf der Alm. Da gehen die Vorräte schon mal für die Bewirtung der Kursteilnehmer auf und so richtig alleine war ich über den Sommer selten.“
Totaler Gemüse-Ernteausfall
Gemüse konnte Roswitha nicht wie geplant selbst erwirtschaften, da sie durch kleine schleimige Besucher einen fast kompletten Ernteausfall hatte: „Mein Gemüseanbau ist gefloppt! Ich konnte nur fünf Häuptel Salat ernten da zweihundert Schnecken über die Beete hergefallen sind und mich leergefressen haben. Eine Bäuerin aus der Region, die das ganze Jahr über Gemüse in ihrem Gewächshaus zieht, versorgt mich daher mit frischem Grünzeug. Das war nicht geplant, ist aber für mich ein gangbarer, guter Kompromiss.“
Während es sich Tinkerbell, die rotgetigerte Katze, schnurrend auf meinem Schoß gemütlich macht, frage ich Roswitha, ob sie je ans Aufgeben gedacht hat in diesem halben Jahr. Ihre Antwort kommt prompt: „Nein! Ich werde auch am Ende meines autarken Jahres noch nicht an meinem geplanten Ziel angekommen sein, daher denke ich sogar daran, weiterzumachen. Noch bin ich nicht richtig zur Ruhe gekommen und habe das Potential des autarken Lebens noch nicht ausgeschöpft, doch zumindest nutze ich das, was ich auf meinen 20 Hektar hier heroben am Berg habe bestmöglich.“
Wir holen die mitgebrachten Zutaten für Roswitha´s Weihnachtsbäckerei aus dem Rucksack und ich möchte wissen, was sie in ihrem Experiment am meisten vermisst. Roswitha lacht und sagt: „Es ist nicht das Handy, wie alle vermuten. Klar ist die Kommunikation eingeschränkt und da gewissen Leuten der Weg zu mir zu weit ist, habe ich momentan kaum Kontakt zu ihnen. Nur einmal, bei einer Schwergeburt einer Geiß, war ich wirklich froh, dass gerade Besucher mit einem Mobiltelefon bei mir waren. So konnten wir rasch Hilfe rufen und die Ziegenmutter und das Kitz haben überlebt. Es ist das Auto, das ich wirklich vermisse. Die Mobilität eines schnellen Ortswechsels. Wenn ich nach dem ersten Mai wirklich weitermache, dann allerdings nicht mehr ohne mein Auto.“
Die Familienlieblingskekse
Die Zutaten für die einfachen, traditionellen Kekse sind bereitgestellt und Roswitha verrät uns, was sie daraus zaubern wird: „Ich nenne sie die Familienlieblingskekse. Der Name sagt es schon, dass das die liebsten Weihnachtskekse meiner Kinder sind und sie sind rasch aus einfachen regionalen Zutaten hergestellt.“
Während sie 60 dag Zucker mit jeweils 30 dag Butter, geriebenen Nüssen und geriebener Schokolade vermengt und mit den Händen zu einem Teig verknetet, sinniert sie: „News aus der Welt bekomme ich nur gefiltert in Gesprächen weitergegeben. Was meinen Besuchern wichtig erscheint, erzählen sie mir. So habe ich über den verheerenden Wirbelsturm Sandy in New York erfahren. Millionen waren von einem Stromausfall betroffen. Das Leben, das ich hier heroben freiwillig und experimentell führe, war den New Yorkern vorübergehend fernbestimmt aufgezwungen.“
Andrea und Roswitha formen nun aus dem Teig daumendicke Rollen, die sie in rund zwei Zentimeter lange Stücke schneiden und zwischen den Handflächen zu Kugeln drehen. Roswitha´s Küchen-Ofen ist natürlich bei diesem Wetter gut beheizt und so landen die Kugeln umgehend im Backofen. „Dort bleiben sie jetzt über Nacht, denn sie sollen mehr trocknen als backen,“ verrät sie. (Im Backrohr lässt man die Kugeln bei 100 Grad für 5 bis 6 Stunden trocknen.)
Ein Hauch von Advent
Der Duft der Familienlieblingskekse durchströmt die Hüttenstube und Tinkerbell schnurrt schläfrig vor sich hin. Die Holzscheite im Ofen knistern und auf dem Tisch flackert eine Kerze. Vor dem Fenster fallen immer noch dicke Flocken und es wird langsam dämmrig. Diese Kombination löst bei mir aus, was „Last Christmas“-Beschallung in Kaufhäusern und Regale voller Schokonikoläuse nicht schaffen: Es stellt sich eine friedliche Adventstimmung ein. Wie Roswitha dieses Jahr den Advent und Weihnachten verbringt, möchte ich von ihr wissen. Ihre Augen strahlen, denn sie freut sich sichtlich auf diese Zeit. „Ich habe am 6. Dezember Freunde und Familie zu mir herauf eingeladen. Der Nikolaus wird kommen und vor Weihnachten besuchen mich die Anklöckler. Weihnachten feiere ich hier heroben mit meiner Familie und für den Jahreswechsel möchte ich eine richtige Feier mit Musik, gemeinsamem Kochen, Spaziergängen im Schnee und netten Leuten veranstalten. Das wäre dieses Jahr ganz so wie ich es mir wünsche,“ verrät uns Roswitha als wir uns zum Aufbruch in das Schneetreiben bereit machen.
„Eigentlich auch ganz so, wie es sein soll. Ein bisschen weniger Konsum, ein bisschen mehr Besinnen aufs Wesentliche, ein bisschen mehr Spüren des Echten – das wäre ein guter Vorsatz für die vorweihnachtliche Zeit,“ denke ich mir, als ich mit Andrea den Abstieg von der Kalchkendlalm beginne. Und noch etwas kommt mir in den Sinn: „Gut, dass Roswitha kein Handy hat und es so keine Möglichkeit gab, diesen Termin zu verschieben. Es wäre uns etwas entgangen.“