Gottfried Salzmann gehört unter internationalen Kunstkennern, Galeristen und Sammlern zu den ganz großen Malern unserer Zeit. Der 80-Jährige gilt als einer der ersten Aquarellisten nach 1945: Er hat der Aquarellmalerei neues Leben eingehaucht und in seiner Meisterhaftigkeit auf ein völlig neues Niveau gehoben. Geboren ist Gottfried Salzmann 1943 in Saalfelden am Steinernen Meer, seit 1965 lebt er in Paris. In seinen Heimatort kehrt er regelmäßig zurück, am liebsten zu besonderen Anlässen wie etwa zur Eröffnung der neuen Museumsrundreise „Weg der Kostbarkeiten“. Dort hat ihn Autorin Franziska Lipp getroffen und erfahren, wie es ein junger Pinzgauer in die französische Hauptstadt und weiter in den Olymp der erfolgreichsten zeitgenössischen Maler schaffte.
Saalfelden zeigt sich an diesem Morgen im Mai von seiner schönsten Seite: Das Steinerne Meer mit seinen zerklüfteten Gipfeln und Scharten hebt sich gestochen scharf vor dem Himmel ab. Auf den sattgrünen Wiesen weiden wohlgenährte Kühe. Die Luft ist so klar und frisch, dass man sie am liebsten in Dosen verschweißen und konservieren würde. Der Ritzensee wirkt kühl und anziehend zugleich, die milchig weißen Blüten der Holunderbüsche ähneln kleinen Puderwölkchen. Man muss kein Künstler sein, um die Poesie dieses Morgens wahrzunehmen. Für Gottfried Salzmann bedeutet diese Landschaft aber vor allem eines: Heimat!
„Wenn ich in Salzburg lande und dann mit dem Auto nach Saalfelden fahre, ist es genau jener Punkt, wo sich nach Lofer die Landschaft plötzlich auftut“, schmunzelt er, der die Großstadt genauso liebt wie das Land. „Da öffnet sich mein Herz und ich spüre, wie mein Körper auf diese Landschaft reagiert.“
Acht Jahre hat Gottfried Salzmann in Saalfelden gelebt, bevor er sich sprichwörtlich aufgemacht hat in die große, weite Welt. Es waren bestimmt nicht die einfachsten Jahre seines Lebens: Denn sie waren alles andere als unbeschwert. Der Vater, gebürtig in Bruck an der Glocknerstraße und Hauptschullehrer, fiel im Zweiten Weltkrieg. Die Mutter, eigentlich aus Thalgau bei Salzburg, stand mit den Kindern alleine da: Eine der vielen Kriegswitwen, die schauen mussten, wie sie sich und die Familie über die Runden bringt. Ein einziges Schwarzweißfoto gibt es von Gottfried Salzmann und seinem Vater: Es zeigt, wie dieser den wenige Monate alten Säugling im Arm hält. Wenn Gottfried Salzmann davon erzählt, schwingt Wehmut mit. Seine Ahnen nicht zu kennen, bedeutet, seinen ganz eigenen Weg gehen zu müssen – vielleicht sogar noch vehementer.
Schon in jungen Jahren sah sich Gottfried Salzmann mit Anforderungen konfrontiert, die wenig mit seinen eigenen Bedürfnissen als vielmehr mit dem Gedenken an den verstorbenen Vater zu tun hatten.
Ein frühes Interesse an Kunst und Malerei
So war es der ausdrückliche Wunsch der Mutter, dass er die Lehrerbildungsanstalt besucht und in die beruflichen Fußstapfen des Vaters tritt. Der Bub wollte dem Wunsch der Mutter entsprechen und doch hat sich da schon längst ein anderes Talent in ihm geregt: Dieses strebte an die Oberfläche und wollte gelebt werden. Es war die Kunst und die Liebe zur Malerei, die für die ganze Familie völlig unerklärlich war. Plötzlich wünschte sich der Bub – erst in der Hauptschule – ein Kunstbuch zu Weihnachten. Wie kam er nur auf diese Idee? Woher dieses Interesse? Gottfried Salzmann bekam das Buch und war glücklich. Stundenlang betrachtete er die Gemälde und Portraits, die aufgrund des S/W-Druckes viel Platz für Phantasie ließen. Vielleicht war es genau jener Punkt, an dem er begann, die Drucke mit Farbe zu füllen. Doch Gottfried Salzmann hat eine andere Erklärung: „Ich glaube sogar, dass es ein Faksimile von Albrecht Dürers Aquarell ‚Feldhase‘ war, das mich schon während meiner Kindheit inspiriert hat. Ich weiß nicht, von wem er stammte oder wer ihn an meine Kinderzimmertür gehängt hat. Aber ich habe ihn sehr geliebt und auch in meiner Jugend eine Zeitlang Tiere gezeichnet. Der ‚Feldhase‘ hängt heute an der Kinderzimmertür meiner Enkel.“
Salzmanns Aquarelle sind ein kostbarer Schatz der Albertina
Niemand hätte zu diesem Zeitpunkt ahnen können, dass Gottfried Salzmann Jahrzehnte später in einem Atemzug mit Albrecht Dürer genannt werden würde. Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Albertina, formuliert Salzmanns Einzigartigkeit folgendermaßen: „Für die Albertina zählt die museumseigene Sammlung an Salzmann Aquarellen zum kostbarsten Schatz. Salzmann behauptet sich in der Kette von Albrecht Dürer über Rudolf von Alt bis zum späten Klee als legitimer Erbe und Nachfolger, nicht als Epigone. Mit Gottfried Salzmann wurde nicht nur eine scheinbar längst abgegraste Gattung wie jener der Landschaftskunst und Stadtvedute, sondern auch die unerschöpflichen Möglichkeiten einer zu Unrecht in den Hintergrund getretenen Technik rehabilitiert.“
Per Autostopp quer durch Europa
Es war also die Kunst und nicht die Pädagogik, die Gottfried Salzmann faszinierte: Dennoch besuchte er die Lehrerbildungsanstalt mit dem Ziel, die Matura abzulegen. Doch die Verlockungen der großen Museen, Künstler und ihrer Werke war groß: Von Salzburg aus, wo der Schüler bei einer Tante wohnte und das Gymnasium besuchte, macht er sich auf in die Welt. Per Autostopp und ohne Geld gelangte er in nahezu alle großen europäischen Städte. Schon als Siebzehnjähriger besuchte er den Louvre in Paris, das Rembrandt-Museum in Amsterdam und das Munch-Museum in Oslo. „Diese Reisen waren wichtig, um einen guten Beobachtungssinn zu entwickeln, um sehen zu lernen“, sagt Gottfried Salzmann. „Heute frage ich mich manchmal, wie Kinder noch sehen lernen sollen, wenn sie nur auf ihr Smartphone schauen.“ Gottfried Salzmann hat viel gesehen und sich alles ganz genau angeschaut. Nach der Matura war dann klar: Wenn schon unterrichten, dann nur Kunst. Doch er spürte auch, dass das nicht das Richtige war. Nicht unterrichten, sondern selbst malen – das war es, was er wollte. Als er an Weihnachten 1962 seiner Mutter von der Planänderung erzählte, brach für diese eine Welt zusammen. Der Sohn ein freischaffender Maler?! Das würde doch niemals gut gehen. In ihrer Verzweiflung wollte sie ihren Sohn vor dem Schlimmsten bewahren: Sie entzog ihm die finanzielle Unterstützung in der Hoffnung, dass er zur Vernunft käme. Doch es half alles nichts. Es fanden sich Nebenjobs, um das Studium an der Akademie für bildende Künste in Wien zu finanzieren. Gottfried Salzmann war sich für nichts zu schade: Anstreicher, Statist am Burgtheater, Skilehrer in Zell am See, Schneeschaufler in Wien. Irgendwie konnte man schon Geld verdienen, wenn man nur wollte.
Ein unerwarteter Zwischenstopp
Gottfried Salzmann begann also sein Studium – unter anderem bei Sergius Pauser und Max Melcher – in Wien. In den Ferien stand er wie gewohnt an der Autobahn, das nächste Reiseziel im Visier: London! Diese Reise veränderte alles: „Ich habe in der Tate Gallery zum ersten Mal die Aquarelle von William Turner gesehen und sie haben mich fasziniert wie nichts zuvor. Im Nachhinein eine echte Initialzündung. Von nun an war klar: Ich will nach London.“ Also räumte der junge Student sein Bett in Wien, packte Skizzenblock, Malzeug und einige wenige Habseligkeiten. Er schrieb ein Pappschild mit dem Reiseziel „London“ und wartete auf Mitfahrgelegenheit. Und da man diese nehmen muss, wie sie kommen, führte die Route über Paris. Ein Zwischenstopp, den Gottfried Salzmann nicht auf dem Plan hatte. Und da war plötzlich die französische Hauptstadt – mitten in den wilden 1960er Jahren. Die Franzosen demonstrierten gegen den Algerienkrieg. Jean-Paul Sartre gab im Café Flore bekannt, dass er den Literaturnobelpreis nicht annehmen würde. Und Alain Delon und Romy Schneider sorgen mit ihrer Liaison für Schlagzeilen. Paris war ungestüm, politisch, neugierig und im Aufbruch. Und Gottfried Salzmann fasziniert: Hier schien alles möglich. Sogar die Plakatwände waren im Gegensatz zu den ordentlich geklebten in Wien eine Inspiration. Collagen würden später fixer Bestandteil in Gottfried Salzmanns Werk sein: Paris‘ abgerissene Plakatwände waren daran nicht ganz unbeteiligt. Die Verwirrung des zielgerichteten Studenten war hingegen perfekt: Anstatt den Rolling Stones und The Beatles sangen in Frankreich France Gall und Serge Gainsbourg. Salzmann legte sein Pappschild zur Seite und packte sein Malzeug aus. Hierzubleiben war kein Entschluss, sondern eine Notwendigkeit. Anstatt in London inskribierte er an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris. Hier lernte er andere Studenten kennen. Eine von ihnen war die junge Malerin Nicole Bottet. Daraufhin warf Gottfried Salzmann das Pappschild mit dem Schriftzug „London“ in den Müll.
Ein Leben in Bildern
Gottfried Salzmanns Schilderungen von seinem Leben und seiner Kunst sind ein Faszinosum: Stundenlang könnte man ihm zuhören. Von seinem Leben als unerfahrener Student in Paris, vom Umzug der jungen Familie aufs Land und in ein Häuschen ohne Strom und fließend Wasser. Von den ersten Ausstellungen in Salzburg, wo er bereits in den 1970er Jahren von dem Galeristen Friedrich Welz entdeckt wurde. Von Sonnenuntergängen auf dem französischen Land und von Helikopterflügen über New York. Von der ersten großen Ausstellung in der Albertina und von den jährlichen Reisen in die USA. Von den vielen Tonnen abgerissener und eingesammelter Plakate, die er sich von Übersee in sein Pariser Atelier schicken ließ. Von den Preisverleihungen und Auszeichnungen. 2011 wurde dem Künstler das Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst der Republik Österreich verliehen. Gottfried Salzmann ist Professor und seine Werke werden hoch gehandelt. In seinen Erzählungen aber wird klar: Er hatte keine Wahl! Er hat getan, was er tun musste. Denn Talent ist nicht nur ein Geschenk, sondern eine Aufgabe. Er sagt selbst: „Man wird besser und arbeitet härter, wenn die Lebensumstände schwierig sind. Mir war immer klar, dass ich keinen Sicherheitspolster habe.“
Gottfried Salzmann auf dem „Weg der Kostbarkeiten“
Heute ist Gottfried Salzmann nach wie vor ein Reisender, der Beständigkeit in seiner Kunst findet. Werke von ihm, seiner Frau Nicole Bottet und seiner Tochter Nieves Salzmann finden sich im Museum Saalfelden. Dieses wiederum ist Teil des neuen „Weg der Kostbarkeiten“. Gottfried Salzmann freut sich sehr, zu den sechs Künstlern zu zählen, deren Werke auf der Museumsrundreise gezeigt werden. Er selbst ist ein großer Verehrer von Alfred Kubin (Lohninghof, Zell am See-Kaprun), von dem er auch einige Zeichnungen besitzt. Der „Weg der Kostbarkeiten“ macht es möglich, die Werke großer Künstler im Pinzgau und im angrenzenden Tirol zu sehen. Gottfried Salzmann weiß aus Erfahrung, dass man – um Kunst sehen zu wollen – lange Reisen auf sich nimmt. Umso schöner, dass der „Weg der Kostbarkeiten“ die Werke in den Orten zeigt, in denen die Künstler gelebt und gearbeitet haben. Und in diesem Sinne wünscht man Besuchern eine „Gute Fahrt!“ und umfassende Einsichten.