Kein Strom, kein Auto, kein Handy oder PC, kein Einkaufen – ein Jahr autark als Selbstversorgerin auf einer Alm auf über 1 200 m Seehöhe leben. Roswitha Huber aus Rauris startete im Mai 2012 ihr ganz persönliches Experiment auf der Kalchkendlalm und wird bis Mai 2013 nur von dem leben, was sie selbst anpflanzt und erzeugt.
Die 57-jährige gebürtige Oberösterreicherin war als Volksschullehrerin 1976 nach Rauris-Wörth gekommen, heiratete einen Bauern und ist Mutter von 5 Kindern. Sie steht mit beiden Beinen fest im Leben und ihre Augen unter dem rotblonden Haarschopf strahlen Stärke und einen eisernen Willen aus. Sie ist immer schon ihren eigenen Weg gegangen, und so hing sie ihren Beruf als Lehrerin 1996 an den Nagel um auf der Kalchkendlalm ihre eigene Schule zu gründen: Die Schule am Berg. Mit Brotbackkursen (mehr darüber in meinem Artikel: Das Brot der Eigenbrötlerin), Seminaren, Lesungen und Symposien hat sich Roswitha bereits über die Landesgrenzen hinaus einen Namen gemacht und ihr „Wissen rund ums Brot“ hat die Autorin zweier Bücher sogar bis nach Madagaskar gebracht, wo sie einen alten Brotbackofen wieder instand setzte.
Tue es ganz!
Für Roswitha Huber zählen keine halben Sachen und so erzählt sie bei einem frischen Butterbrot auf dem sonnigen Hausbankerl vor der Alm: „Ich sagte mir damals – tue es ganz! Und so konzentriere ich mich seit 8 Jahren völlig auf die Arbeit hier heroben auf der Kalchkendlalm. Auch wenn Brot das zentrale Thema ist, geht es vorrangig um die Sensibilisierung für das Echte und eine Basiswissensvermittlung, wo unsere Lebensmittel herkommen. Brot ist dafür einfach ein schönes Produkt: keiner hat Aversionen dagegen, man isst sich nicht ab, du kannst damit überleben, es ist haltbar und vor allem für alle Altersgruppen in der Herstellung erlebbar.“
Bis vor siebzig Jahren lebte auf der heutigen Kalchkendlalm eine vierzehnköpfige Familie in weitgehender Selbstversorgung. Die Bäuerin starb bei der Geburt ihres dreizehnten Kindes und so ging der Hof 1957 in den Besitz der Familie Huber über. Dieses autarke Leben inspirierte Roswitha Huber zu ihrem 365-Tage-Selbstversuch. Mit 1. Mai 2012 startete sie ihr Projekt auf der Kalchkendlalm und lebt nur noch von dem, was sie selbst anbaut und erzeugt. Ein Jahr lang nichts einkaufen und kein Geld für sich ausgeben sind die Vorgaben, die sie sich selbst auferlegt hat. „Es geht dabei um Selbstversorgung, nicht um ein Eremiten-Dasein. Es kommen nach wie vor viele Besucher und auch meine Brotbackkurse führe ich fort. Ich habe ja meine Kinder zu versorgen und so kann ich es mir nicht leisten, nichts zu verdienen. Sonst hätte ich dieses Projekt auf der Hochalm auf 2 000 m durchgeführt, wo ich wirklich allein gewesen wäre,“ erklärt sie mit Blick auf die Wanderer, die gerade das hölzerne Tor zur Alm öffnen und fügt mit einem Augenzwinkern hinzu: „Mein Auftrag ist es, Wissen zu vermitteln – kein Bier zu verkaufen. Ich bin Anlaufpunkt für wissensdurstige Wanderer, keine Jausenstation.“
„Das hältst du keine 2 Wochen aus!“
Das Getreide für das Brot kommt von ihrem Cousin, ein paar Hühner, Ziegen und Kühe sorgen für Eier und Milch und der große Bauerngarten hinter der Alm für frisches Gemüse. Auch der Verzicht auf Mobilität und Kommunikation gehört zu dem Versuch: „Kein Auto zu haben, das war schon eine Umstellung. Man muss vorausschauender planen, denn zu Fuß sind die Wege doch recht weit von hier oben. Das Abschalten des Handys allerdings ist mir ganz leicht gefallen. Das nervige Läuten des Telefons geht mir gar nicht ab und Termine werden jetzt verbindlicher, da man mich nicht einfach anrufen und etwas Ausgemachtes verschieben kann. Ich habe viele Verbindungen in die Welt, doch nun findet Kommunikation nur noch Aug in Aug statt – wer was von mir will, kommt auf die Alm.“
Eine richtige Vorbereitung für die Auszeit gab es nicht und so startete Roswitha mit vielen ungeklärten Fragen in das Projekt. „Ich lerne hier heroben so viele neue Dinge. Es kommen viele Sachen auf mich zu, mit denen ich nicht gerechnet habe, doch da muss ich durch! Einer meiner Söhne zeigte mir das Melken der Geißen und kontrolliert meinen Umgang mit den Tieren. Meine Kinder unterstützen mein Vorhaben und interessieren sich dafür, obwohl meine Tochter anfangs meinte: ‚Das hältst du keine 14 Tage aus!’“
„Ich bin angekommen!“
Roswitha wird gerne auch als „die Eigenbrötlerin“ betitelt, was aber mehr auf ihre Liebe zum Brot anspielt. Denn trotz ihres eigenwilligen Vorhabens ist sie bei weitem kein fanatischer Öko-Freak, Zivilisations-Verweigernder Aussteiger oder menschenscheuer Eremit, und so liegt auch in all der Stärke und Ruhe, die Roswitha mit jedem Wort und jeder Geste ausstrahlt ein leichter Hauch von Unsicherheit, wenn sie an den Winter denkt: „Mit dem Alleinsein und der Einsamkeit könnte ich schon ein Problem bekommen. Vor allem im Winter, wenn die Tage kurz sind und ich auch einmal durch den Schnee von der Außenwelt abgeschnitten bin. Doch daran denke ich jetzt einfach noch nicht!“
Nachrichten aus der Welt kommen zu Roswitha nur noch gefiltert – nur was ihren Besuchern erzählenswert erscheint, oder was sie durch Briefe erfährt hält sie auf dem Laufenden. Doch den Nachrichten-Überfluss scheint sie ohnehin nicht zu vermissen, und so meint sie mit einem ruhigen Blick über das grüne Almgebiet: „Ich fühle mich hier heroben wohler, als unten. Ich bin angekommen. Es gibt gar nichts was mir abgeht.
Bald werde ich Roswitha wieder auf der Kalchkendlalm besuchen, um zu berichten, wie es ihr nach den ersten Monaten auf der Alm ergeht.
Wer Roswitha Huber schreiben möchte, der muß zu Papier und Bleistift greifen, denn auch über Mail ist sie natürlich nicht erreichbar:
Schule am Berg – Kalchkendlalm – Fröstlbergweg 44 – A-5661 Rauris-Wörth