Jeden Tag laufen viele viele Menschen am Makartsteg im Zentrum Salzburgs vorbei. Zu Festspielzeiten sind es wohl mehrere tausend. Was sie alle dort sehen: Einen Radfahrer. Nicht aus Fleisch und Blut, sondern in Bronze gegossen, größer als ein Mensch, extrem schlaksig und in sich ruhend. Gedankenverloren betrachtet diese Person den Himmel, den Mund leicht geöffnet und lehnt sich verträumt mit seinen langen dünnen Armen an sein Fahrrad.
Häufig sieht man, wie Touristen sie fotografieren, jene mit Fahrrad die Pose sogar nachstellen. Doch nun kommt die große Frage: Woher stammt die Figur, wer hat sie kreiert? Das war Lotte Ranft. 1938 als das Kind von Tiroler Eltern in Berlin geboren, lebt die Künstlerin seit über fünfzigJahren in Salzburg. Zu ihren Werken zählt nicht nur der berühmte „Radfahrer“, der dort bereits seit dem Jahre 1992 steht, sondern auch viele andere Plastiken, die überall im öffentlichen Raum verteilt sind.
Vom menschlichen Körper inspiriert
„Wenn ich eine Plastik forme, versinke ich ganz in meiner Arbeit. Natürlich entwerfe ich vorher die Pläne, wie die Figur am Ende ausschauen sollte. Aber letztlich ist es ein Zusammenspiel aus dem Formen und Begreifen mit meinen Händen und meinem Atmen. Die Figuren spiegeln quasi den natürlichen Lebensrhythmus wieder.“ Fast immer stellen die Figuren den Menschen dar. „Der menschliche Körper inspiriert mich einfach, ich setze mich mit ihm in meiner Kunst auseinander – oftmals in unüblichen Positionen, sehr voluminös oder auch sehr dünn.“
Die Kunst nahm schon früh eine wichtige Rolle im Leben Lotte Ranfts ein. Als Kind sah sie bewundernd zu ihrem Großvater auf, dem Autor und Maler Karl Berger , der zwar schon verstorben war, seine vielen Bilder der Familie jedoch hinterlassen hatte. „Ich habe mir damals gedacht: Sei nicht traurig, Großvater, ich führe dein Werk weiter. Dabei habe ich damals noch gar nicht gemalt – ich dachte mir einfach, ich schaffe das schon!“ Gesagt getan nahm ihre Mutter sie schon als junges Mädchen mit zum Zeichenkurs. Und tatsächlich: Die damals 14-Jährige bewies Talent.
Von der Konstrukteurin zur Bildhauerin
Schon in ihren ersten Lebensjahren war die Familie wieder zurück in die Heimat nach Innsbruck gezogen. Die junge Ranft-Berger lernte die Kunst mit den Jahren immer mehr kennen und lieben. „Ich habe Naturmaterialien verwendet, um mir selbst Puppen zu basteln, habe viel gemalt und alles geformt, was ich finden konnte.“ Nach der Matura entschied sich die damals 17-Jährige dennoch für einen technischen Beruf und begann das Studium für Maschinenbau an der TU Wien – als einziges Mädchen unter 500 Burschen.
„Die technische Ausbildung hat mir für mein Schaffen als Künstlerin enorme Auswirkungen . Ich habe damals alles über Konstruktion, Mechanik und Materialien gelernt, was ich für meine Figuren wissen musste.“ Nach einer wilden Zeit, in der sie viel nach Italien und Frankreich reiste und als technische Zeichnerin quasi ihre „Wander- und Lehrjahre“ verbrachte („Eine tolle Zeit damals. Ich erinnere mich so gerne an die Ballonröcke, die damals gerade modern waren.“) , heiratete Ranft jung, bekam eine Tochter.
Dann der Schicksalsschlag: Ihr Ehemann verstarb plötzlich. Die einstige Arztgattin im Kurhaus in Bad Gastein, musste sie sich auf einmal Gedanken machen, wie Sie sich und ihr Kind alleine ernähren sollte. „Ich wollte viel Zeit mit meiner Tochter verbringen aber ich musste natürlich auch Geld verdienen.“ Die Lösung: Sie wurde Lehrerin, später Lehrbeauftragte am Mozarteum. „Tagsüber unterrichtete ich im Kunst- und Werkenunterricht, nachts lernte ich für die Prüfungen, die ich für das Lehramt nachzumachen versprochen hatte. Aber bei all dem konnte ich meiner Tochter immer nahe sein.“
Es regnet Preise
Freischaffende Künstlerin – diese Bezeichnung hat für Lotte Ranft einen besonders hohen Stellenwert. „Es birgt das Gefühl von Freiheit in sich. Ich kann gestalten, was ich möchte.“ Und die Künstlerin hat Erfolg damit. Ihre Großplastiken stehen im Salzburg Museum, im Landeskrankenhaus, in der Universität, am Flughafen und vielen weiteren Plätzen. Auszeichnungen wurden ihr in Hülle und Fülle verliehen.
Der Salzburger Kunstverein zeichnete sie 1972 für ihre beeindruckenden Großplastiken mit einem Ehrenpreis aus, auch für ihre Leistungen an der Internationalen Sommerakademie Salzburg 1969 und für ihre Aquarelle, die sie 1984 beim Österreichischen Grafikwettbewerb einreichte, wurde die Künstlerin mit Preisen geehrt. Ja, Aquarell: Ranfts große Liebe gehört zwar den Skulpturen – doch auch die Malerei gehört zu ihrem Repertoire. Besonders in den 80ern verbrachte die Künstlerin viele Jahre, in denen sie sich rein auf die Aquarell-Malerei konzentrierte.
Das Bundesministerium würdigte die Arbeiten der Künstlerin nicht nur einmal: So wurde ihr nach Ehrungen und Preisen für ihre „Besondere künstlerische Leistung“ und für ihre Plastiken schließlich der Titel des Professors zu Teil, verliehen durch den Bundespräsidenten.
Ranfts Reise durch die ganze Welt
Bevor Ranft selbst unterrichtete und dozierte, hatte sie als Studentin freilich einiges an akademischer Erfahrung gesammelt. Sie besuchte die Universität Innsbruck und die TU Wien, absolvierte ein Akt-Studium an der Wiener Akademie der bildenden Künste und eine Ausbildung an der Internationalen Sommerakademie – bis Sie ans Salzburger Mozarteum kam, an dem sie nach dem Diplom für Bühnenbild auch als Lehrbeauftragte tätig war.
Mit ihren Werken füllte die Künstlerin nicht nur die Museen und Ausstellungshallen in Innsbruck, Salzburg und Wien, sondern auch in der Rich-Perlow-Gallery am Broadway in New York, in Florida, in der Türkei, in Rom, Triest und Bozen sowie in München und Wiesbaden. Mit ihrem Stil, der sich irgendwo zwischen Klassik und Moderne einordnen lässt und zumeist sehr abstrakte Formen und Figuren zum Ausdruck bringt, feierte Ranft überall Erfolge.
„Die einen sagen, es sieht aus wie Picasso, die anderen vergleichen mich mit Matisse oder anderen: Doch es ist einfach nur mein Stil, meine Sprache. Ich arbeite aus meinem Körpergefühl heraus, verarbeite das, was ich gesehen und erlebt habe, schaffe Neues und Eigenes.“ Ein Problem quält die Künstlerin: Die Kosten einer Skulptur. „Ich würde gerne so viel mehr schaffen, aber das kann ich mir nicht leisten. Das Bronzematerial kostet ein Vermögen. Früher wurden die Plätze in der Stadt bei Ausschreibungen vergeben und so hatte jeder eine Chance – nun wird oftmals einfach bestimmt. Dann dürfen meist nur Künstler von ‚außerhalb‘ in unserer Stadt ausstellen.“
Ranft möchte wieder bildhauen, formen, ihre Berufung ausleben. Damit wieder ein ganz neue Skulptur, ein neuer fast lebendig wirkender Körper entstehen kann – mit den Händen und mit dem Atem.
Besuchen können Sie die Künstlerin zu unregelmäßigen Zeiten in ihrem Atelier, das sie mit drei anderen Bildhauerinnen und Malerinnen teilt:
Atelier Galerie Nonntal Lotte Ranft
Nonntaler Hauptstraße 23
A – 5020 Salzburg