Iris liegt im Badezuber und schnarcht. Plötzlich springt sie auf und verwandelt sich vom eben noch schlafenden Hirten in einen riesengroßen Teufel. Einige Kinder zucken zusammen, doch bald sitzen sie wieder mucksmäuschenstill da und lauschen gebannt den Worten aus Iris‘ Mund. Willkommen zur Märchen- und Sagenwanderung in Kolm Saigurn.
Märchen- und Sagenwanderung im Rauriser Talschluss
Vor dem Naturfreundehaus in Kolm Saigurn erwartet Iris ihre kleinen und erwachsenen Zuhörer:innen. Die spähen sofort hinter ihren Rücken, denn Iris kommt niemals allein. Auf einer alten Krax sitzt ein kleines Männchen mit Zipfelmütze, smaragdgrünen Augen und weißem Zottelbart: das Bergmandl aus dem Stollen. Und unter ihm befindet sich eine kleine Schublade, in der die Sagen und Märchen verborgen liegen. Noch!
Wir folgen der Sagen- und Märchenerzählerin und ihrem Bergmandl über eine kleine Brücke zu einem Grillplatz. Direkt zu der Felswand, an der der Sonnblick emporschießt. Wir setzen uns auf niedrige Bänke aus Holzstämmen. Iris entsperrt die Schublade und zückt ein kleines – ja … „Was könnte denn das sein?“, fragt sie die Kinder. „Ein Stück Fell!“, ertönt es von rechts wie aus der Pistole geschossen. „Ein Krampusfell“, ergänzen meine Mädels. Und so falsch liegen sie gar nicht, denn schon zieht uns Iris mit in ihre bunte Sagenwelt, in der Butterkugeln so groß wie Siloballen den Hang hinabkullern. Hirte und Teufel sich unerbittliche Kämpfe liefern, dass die Hütte nur so wackelt. Und sich der kleinste Teufel schließlich Badezuber samt Hirten schnappt, in die Lüfte aufsteigt und Löcher durch die Felsen rammt.
Danach dürfen die Zuhörer:innen aktiv werden. „Lasst uns einen Teufel aus Naturmaterialien gestalten. Ihr könnt alles verwenden, was herumliegt“, fordert Iris auf. Eifrig sammeln die Kleinen, was die Natur ringsum hergibt. Und so mancher Erwachsener staunt über kreative Einfälle: Es entstehen winzige Teufelchen aus Bachsteinen, Teufel mit Blattzungen und feurigen Blumenaugen und Riesenteufel mit mannshohen Holzbeinen.
Hereinspaziert in den Stollen
Noch einmal dürfen wir Platz nehmen und erfahren in der nächsten Sage, wer für einen erfolgreichen Almsommer verantwortlich ist: das Kasmandl von Rauris. Überall da, wo es mit seinen Holzschuhen hintritt, wachsen besonders gute Kräuter. Jetzt aber genug gerastet und gelauscht! Iris schultert ihre Krax mit dem Bergmandl und führt uns weiter.
Der Weg wird abenteuerlicher, denn nun wandern wir einen Waldpfad hinauf und stehen wenige Minuten später vor dem Eingang zu einem alten Bergwerksstollen. Drinnen empfängt uns kühle und feuchte Luft, hin und wieder tropft es von Decke und Wänden und das Tageslicht wird nach wenigen Metern vollständig vom Stollen verschluckt. Mit Fackeln, Laternen und ein bisschen moderner Elektrizität entsteht eine stimmige Kulisse für die letzte Sagengeschichte. Sie handelt vom Goldbergbau und dem Bergmandl. Mit dieser Geschichte regt die Märchenerzählerin nicht nur die Fantasie der Jüngsten an, sondern übermittelt zudem wissenswerte Details zur Vergangenheit des Raurisertals.
Als die Sage endet, überrascht Iris alle mit einer spannenden Ankündigung: „Dort, ein paar Meter weiter drinnen im Stollen, sind kleine Schätze versteckt!“ Die Kinder schwärmen sofort aus, die Erwachsenen eilen mit Fackeln, Laternen und – der heutigen Zeit sei Dank – Handy-Taschenlampen hinterher.
Und tatsächlich, wenig später darf sich jedes Kind und jede erwachsene Begleitung über einen kleinen funkelnden Bergkristall freuen. Mit dem kostbaren Schatz in der Jackentasche geht es schließlich wieder zurück zum Naturfreundehaus. Und dort nehme ich Iris noch kurz zur Seite, denn eines interessiert mich schon: Wie wird man eigentlich Märchenerzählerin?
In den Märchen ein Stück Heimat finden
Ursprünglich war Iris als Sozialarbeiterin im Kinder- und Jugendbereich tätig. Ihre Arbeit führte sie eines Tages nach Afrika, nach Tansania, wo sie mit Straßenkindern arbeitete. Die Kultur war neuartig und sehr fremd für sie, doch es gab etwas, das eine Brücke zu ihrer Heimat schlug: „Die Kinder in Afrika haben viele Märchen erzählt. Die mündliche Erzählkultur ist dort sehr ausgeprägt und man hat gemerkt, dass sie mit den Geschichten aufgewachsen sind. Durch die Märchen habe ich immer etwas Verbindendes, Vertrautes zur Heimat gefunden.“
Denn auch wenn die Geschichtenkulisse eine ganz andere war, so erkannte Iris in den afrikanischen Märchen bekannte Symbole und Abläufe, dieselbe Grundthematik und Moral. Zum Beispiel den kleinen Hasen, der schlauer ist als alle großen und sich zum Helden entwickelt. Und plötzlich wurden längst vergessene Erinnerungen wieder wach: die vielen Vorlese- und Märchenstunden bei ihrer Oma, all die lustigen, listigen und schaurigen Wesen aus den Geschichten, die geheimnisvollen Streifzüge durch die heimischen Wälder auf der Suche nach ebendiesen Figuren. Und so kehrten damals, am Fuße des Kilimanjaro, die Märchen in Iris‘ Leben zurück – und ließen sie seither nie mehr los.
Pinzgauer Sagen vor naturgetreuer Kulisse
Iris absolvierte eine Ausbildung zur Wildnispädagogin und Kräuterfachfrau und schließlich einen zweijährigen Lehrgang zum Thema „Märchen begreifen“. Mit diesem Wissen und ihrer Erfahrung erfreut sie nun Kinder und Erwachsene mit bunten Naturerlebnissen und heimischen Sagen. Diese gehen ihr jedenfalls bestimmt nicht aus: Iris schätzt, dass sie sich bereits durch über 1.500 Märchen- und Sagenbücher gelesen und geblättert hat. Umso mehr freut es sie, wenn sie auf mittlerweile junge Erwachsene trifft, die vor einigen Jahren ihren Geschichten gelauscht haben und sich noch detailgetreu daran erinnern. Oder wenn ihre kleinen Zuhörer:innen kundtun, sie hätten letztens tatsächlich ein Bergmandl vorbeihuschen gesehen …
Und auch wir werden bestimmt bald wieder nach Kolm Saigurn zurückkehren. Denn da gab es doch diese Geschichte über den Goldbergbau-Vorarbeiter, der den Goldschatz nie gefunden hat – und welcher angeblich immer noch irgendwo im Rauriser Talschluss verborgen liegt …
Mehr von Iris erfahren:
www.schermtax.at
Iris‘ Mann Martin ist ebenfalls in der Natur daheim. Gemeinsam bieten die beiden spannende Naturerlebnisse für kleine und große Draußen-Fans.
Märchen- und Sagenwanderung in Kolm Saigurn
Anmeldungen: Naturfreundehaus Kolm Saigurn
06544/8103 und 06544/20 406