Es gibt Pferdeflüsterer und Hundeflüsterer. Aber haben Sie schon einmal von einem Obstbaumflüsterer gehört? Jacob Schranz war einer. Vor mehr als 200 Jahren pflanzte und pflegte er Obstbäume in seinem Garten in Niedernsill und packte sein wertvolles Wissen in ein Buch. Nun wurde „Der Obstgarten im Gebirge“ von Susanne Rasser überarbeitet und neu herausgegeben. Das Büchlein steckt voller Empfehlungen für einen erfolgversprechenden Obstanbau. Nachahmen wärmstens empfohlen!
Ein schweres Schicksal konnte Jacob Schranz nicht bremsen
Maria Theresia regierte das Land, als Jacob Schranz im Jahr 1759 in Niedernsill geboren wurde. Sein Leben war arbeitsreich. Er betrieb den Schlosserbauernhof, eine Säge und eine Lodenwalchstampfe, er war Müller, Obstbaulehrer und später auch Buchautor. Und er war kinderreich. Insgesamt zwölf Kinder brachte die Ehe von Jacob Schranz und Monica Schettin hervor. Seine Leidenschaft galt schon früh dem Obstanbau und – wie damals selbstverständlich – dem schonenden Umgang mit der Natur.
1798 traf die Familie ein schweres Unglück: Eine große Schlammflut zerstörte den gesamten Hof und die Obstkultur heimischer Obstarten. Doch nichts schmerzte Jacob so sehr wie der Verlust seiner Tochter Susanne. Sie wurde von einer Flutwelle mitgerissen und nie mehr gefunden. Mit Trauer im Herzen und ohne Dach über dem Kopf musste die Familie Schranz ganz von vorne beginnen. Entschlossen errichteten sie den Hof Stein für Stein neu und auch im Garten blühten wenige Jahre später wieder prachtvolle Obstbäume. Seinen mittlerweile großen Wissensschatz wollte Jacob Schranz nun an andere weitergeben und es gelang ihm tatsächlich, einen Verlag zu finden, der seine Erfahrungen als Buch veröffentlichte. Das war zu dieser Zeit alles andere als selbstverständlich.
Die zweite Auflage des Büchleins folgt 200 Jahre später
Bedeutend einfacher war es im Jahr 2020 für Susanne Rasser, einen Verlag für die Neuveröffentlichung des Buches zu finden. Die Autorin für Lyrik, Erzählungen, Theaterstücke und Drehbücher wurde sofort hellhörig, als eine Kollegin sie auf das alte Buch von Jacob Schranz aufmerksam machte. Nur noch wenige Exemplare waren im Umlauf, teils jedoch in einem sehr maroden, unlesbaren Zustand. Susanne Rasser versuchte ihr Glück schließlich beim Schlosserbauern Sepp Buchner, einem direkten Nachfahren von Jacob Schranz. Mit Erfolg. Sie durfte sich das Büchlein ausleihen und entdeckte darin einen wahren Wissensschatz, der ökologisch verträgliches Gärtnern ermöglicht. Susanne Rasser war überzeugt, dass das Buch ein zweites Leben verdiente: „Mich hat der Umweltschutzgedanke angetrieben. Eine Anbauweise, die ohne den Einsatz von Chemikalien, ohne Pestizide und sonstigen Unverantwortlichkeiten auskommt. Umlegen kann man diesen natur- und verantwortungsbewussten Umgang ja auch auf den Gartenbau und andere landwirtschaftliche Bereiche.“
Mit ihrer Idee konnte Susanne Rasser den Tauriska Verlag sofort begeistern. Der im Pinzgau ansässige Verlag engagiert sich für die Förderung des Bewusstseins in der Region und für den Erhalt und die Wiederbelebung von Bräuchen und Alltagskultur. Und da traf „Der Obstgarten im Gebirge“ genau ins Schwarze.
Obstanbauen leicht gemacht: Ein Blick ins Buch
Jacob Schranz appelliert in seinem Büchlein an die Jugend, sie möge die Obstbaumzucht erlernen. Doch ganz unabhängig vom Alter bekommt jeder direkt Lust dazu, der sich auf das Buch einlässt. Denn mehr als ein paar Kerne oder Steine von dem Obst, in das man gerade genussvoll beißt, braucht man gar nicht. Legt man diese in die Erde oder gibt ihnen zuvor in einer Aschenlauge noch etwas Zeit zum Keimen, kann man einige Jahre später eventuell schon prachtvolle Früchte ernten. Zugegeben, ganz so einfach ist es dann doch nicht, denn dazwischen liegt liebevolle Handarbeit.
Diese Sorgfalt bekommen die Leser des Büchleins gut zu spüren, etwa wenn Jacob Schranz einen Esslöffel als Werkzeug benutzt oder vor einem zu starken Wasserschwall warnt. Die anschauliche Beschreibung mag sogar Laien dazu verführen, sich an einem eigenen Obstbäumchen zu versuchen. Die Wurzeln müssen aufgefächert werden wie ein Wagenrad, die Pfropfzweige sollten so dick sein wie ein Federkiel und die Grube soll vier Schuh weit und einen Schuh tief sein. Alles sonnenklar – auch ohne Zollstock und Fachwissen.
Düngen mit Fleischwasser und Blut – oder doch lieber mit Asche?
Jacob Schranz beschreibt oft mehrere Varianten, die dem wachsenden Bäumchen allesamt wohlgesonnen sind. Beim Begießen schwört er auf düngendes Wasser. Dabei kann es sich um Wasser handeln, worin Schafe gewaschen wurden oder Menschen sich gewaschen haben. Als Düngemittel eignet sich aber auch Wasser, in das Fleisch eingelegt wurde oder mit Blut oder Urin versetztes Regenwasser. Lieber nicht? Dann können Hobbygärtner alternativ Asche oder Mist für ihr düngendes Wasser verwenden. Und gute Nachrichten für diejenigen, die sich beim lästigen Unkrautjäten immer ärgern: Das ausgezupfte Unkraut ist ein wunderbares Düngemittel für die Bäume.
Natürlich lässt Jacob Schranz die Leser auch wissen, was zu tun ist, wenn der Baum mal kränkelt. Vom Aderlass bis hin zum konsequenten Auslichten gibt es wertvolle Baumkur-Tipps vom Obstbaumflüsterer. Und auch gegen hungrige Nager, Ameisen und Raupen hat das Büchlein nette Ratschläge parat – selbstverständlich zu 100 % umweltverträglich.
Ein Baum ist für den Beginn doch eine Nummer zu groß? Dann können Gartenliebhaber auch mit einer Holunderstaude starten – denn diese sollte laut Jacob Schranz auf beinahe jedem Grund und Boden gedeihen. Dem sehr vielseitig einsetzbaren Holunder widmet er ein eigenes Kapitel.
Eigenes Obst: Susanne Rasser macht den Praxistest
Ich wollte von Susanne Rasser wissen, ob sie einige der Empfehlungen schon in die Praxis umgesetzt hat. Und tatsächlich ist sie schon eifrig beim Werkeln: „Ja! Unseren kränkelnden Birnbaum habe ich nach der Schranz-Methode verwöhnt (Asche, Gejät, abgebrannter Mist), dem Zwetschkenbaum habe ich einen Ring aus Lärchenpech um den Stamm gestrichen, das hält tatsächlich die Ameisen ab und gegen den Raupenbefall habe ich auch einen Feldversuch gestartet.“ Auch beim düngenden Wasser war sie bereits kreativ: Damit das Wasser basisch wird, hat sie Schafwolle in die Gießkanne eingelegt und es sogar mit Fleischwasser probiert (auch wenn sie zwecks mangelnder Alternative auf übriggebliebenes Katzenfutter ausweichen musste). Und im Gartenhäuschen liegen schon Marillen- und Apfelkerne bereit. Die wird sie im Frühjahr in die Erde pflanzen. Wir wünschen ihr einen guten Wuchs!
Wer sich ein Obstreich im eigenen Garten wünscht und regionale, köstliche Äpfel, Birnen, Zwetschken, Kirschen oder Marillen vom Baum pflücken möchte, dem sei dieses Büchlein wärmstens empfohlen. Das Buch „Der Obstgarten im Gebirge“ können Sie direkt im Online-Shop des Tauriska Verlages bestellen.
Fotos: © Susanne Rasser,
Buchcover: © TAURISKA Verlag, Buchlayout: Stephy Brennsteiner, 2020
alte Fotos: Fotoarchiv: Josef Buchner, Niedernsill