Bei der geführten Wanderung ins Rauriser Krumltal, dem „Tal der Geier“, lernen interessierte Gäste nicht nur alles über die heimischen Greifvögel, sondern mit etwas Glück sichtet man neben Bartgeiern, Gänsegeiern und Steinadlern auch andere Wildtiere.
Erfolgreiche Bartgeier-Wiederansiedelung
Einst unter dem Namen Lämmergeier bekannt, dichtete man diesem mächtigen Greifvogel mit einer Flügelspannweite bis zu 2.90 m an, Lämmer und Gämsen zu jagen. Und sogar der Mythos, gelegentlich ein Kind aus dem Wagen zu stehlen, hielt sich hartnäckig. Diese Schauergeschichten führten innerhalb von nur 100 Jahren zur Ausrottung dieses majestätischen Vogels. Im Krumltal, einem Seitental am Ende des Raurisertals, startete 1986 die Wiederansiedelung des Bartgeiers in den Alpen. „Hans“, „Fritz“, „Ellen“ und „Winnie“ hießen die ersten vier Jungvögel, die damals im Nationalpark Hohe Tauern ihre Kreise zogen. Zahlreiche Bartgeier wurden in der Zwischenzeit in Rauris freigelassen und das Projekt hat sich zu einem der bedeutendsten Artenschutzprojekte in Europa entwickelt.
Knochenspezialist mit roter Schminke
Der Bartgeier ist ein echter Überlebenskünstler in den abgelegenen Tälern, wo oberhalb der Baumgrenze Eis und Fels das Landschaftsbild prägt. Er ernährt sich von Knochen, die mit seinen sauren Magensäften problemlos verdaut werden können. Hat er einen besonders großen Knochen erwischt, kann man den Bartgeier schon mal dabei beobachten, wie er den Knochen aus großer Höhe auf Fels fallen lässt, wo diese in, für ihn nun leichter verzehrbare, Bruchstücke zersplittern.
Bartgeier baden gern in eisenoxidhaltigem Schlamm, was mit der Zeit das weiße Kopf- und Brustgefieder in ein zartes Rostrot verwandelt. Ein schönes Farbenspiel zu dem markanten roten Augenring. Warum genau jedoch der Bartgeier diese Schminke auflegt, ist noch nicht erforscht und Wissenschaftler rätseln, ob es Schutz vor Parasiten bietet oder nur zum Beeindrucken der Partner dient. Für die Partnersuche kommen Jungvögel übrigens weit herum, denn selbst junge Bartgeier sind ausdauernde Flieger und können bei guten thermischen Bedingungen bis zu 700 km am Tag zurücklegen. Erst mit vier bis fünf Jahren werden die Bartgeier langsam mit ihren Partnern sesshaft und beginnen mit dem Horstbau. Beim Brüten und der Aufzucht wechseln sich Männchen und Weibchen ab.
Wandern auf den Spuren der Geier
Am Eingang des Krumltals parke ich mein Auto und warte auf Wanderführer Hans. Inzwischen begrüßt mich schon freundlich der Nationalpark Ranger, der hier an seiner Basis-Station Dienst hat. Er gibt den Gästen vor dem Start ihrer Wanderung nützliche Informationen und verrät die besten Aussichtspunkte. Erst später wird er sich selbst auf den Weg ins Tal machen, um vor Ort sein Wissen an die Gäste weiterzugeben.
Nach und nach gesellen sich weitere Teilnehmer zu unserer bunt gemischten Gruppe: vom Hobby-Ornithologen, Naturliebhabern bis zu Familien mit Kindern – jeder will die Bartgeier mit eigenen Augen sehen. Einige von ihnen sind extra wegen dieser Geierwanderung nach Rauris gekommen und die gespannte Aufregung ist ihnen deutlich anzumerken. Wanderführer Hans – ein ehemaliger Nationalpark Ranger – hat für seine Gäste natürlich auch Ferngläser zum besseren Beobachten der Geier mit dabei. Auf der Wanderung entlang des Krumlbaches hören wir alles Wissenswerte über Geier und Adler und legen immer wieder einen kurzen Stopp ein, um die Ferngläser und Spektive in Position zu bringen und die Gipfelgrate abzusuchen. Noch zeigt sich kein Vogel am wolkenlosen Himmel, doch Hans macht uns Hoffnung: „Hier im Krumltal finden sich im Sommer 60 bis 80 Gänsegeier zur Sommerfrische ein und seit der Wiederansiedelung leben auch Bartgeier ganzjährig hier. Das Raurisertal gehört außerdem zu den am dichtesten von Steinadlern besiedelten Tälern der Hohen Tauern.“ Weiter wandern wir entlang der „Roten Wand“, wo wir unsere Blicke auf die verlassenen Geier-Horste richten, denn hier in der Felswand brüteten noch vor wenigen Jahren Bartgeier.
Murmeltiere & Gämsen
Ein Pfeifen lässt unsere Schritte stoppen und die Köpfe richten sich gespannt nach oben, doch Hans lacht: „Falsche Blickrichtung – das war ein Murmeltier, das soeben einen Warnpfiff abgegeben hat!“ Schon erspähen wir am Gegenhang die kleinen pelzigen Gesellen, die sich in den Sonnenstrahlen wärmen. Wie wir lassen sie den Himmel nicht aus den Augen, denn Murmeltier steht ganz oben auf dem Speiseplan der Adler. Weiter über ihnen am Grat zeigen sich Gämsen, die neugierig auf unsere Gruppe herunterspähen.
Erste Sichtung
Und endlich, wie ein Lauffeuer macht die Nachricht die Runde – weit oben, unter dem Gipfel rasten einige Geier im hohen Gras. Die Spektive sind ausgerichtet und jeder erhascht nun einen „Aug-in-Aug-Blick“ auf die imposanten Vögel. Nun geht es Schlag auf Schlag – dort ein majestätischer Steinadler, hier zwei Gänsegeier, die den Grat entlang streichen und endlich auch der erste Bartgeier, der weit oberhalb der Waldgrenze durch die Lüfte segelt. Hans erklärt, warum diese Vögel in perfekter Symbiose leben: „Gänsegeier leben vom Aas verendeter Tiere und Bartgeier ernähren sich vorwiegend von dem, was die Gänsegeier verschmähen: den Knochen. Was uns wenig nahrhaft erscheint, enthält aber genau so viel Energie wie Fleisch, und die scharfen Magensäfte des Bartgeiers helfen, an diese Nährstoffe zu kommen. Wegen dem Abwerfen der Knochen auf Felsen hat der Bartgeier übrigens auch den Beinamen ,Knochenbrecher’.
Kurz bevor wir uns wieder auf den Rückweg machen wollen, kommt der überraschende Höhepunkt dieses Tages: plötzlich ist der Himmel übersät mit schwarzen Punkten und ein Blick durchs Spektiv verrät – ein ganzer Schwarm Gänsegeier zieht über den Grat ins Krumltal. Nach ein paar Runden lassen sich die Geier, einer nach dem anderen, auf dem Gipfel nieder und in aller Ruhe können wir sie nun beobachten. Über 30 Stück zählen wir und die Aufregung in der Gruppe ist groß. Kaum können wir uns an diesem Anblick sattsehen, doch langsam wird es Zeit für die Rückkehr und so reißen wir uns schweren Herzens los – mit dem Versprechen, bald wieder zurück ins Krumltal zu kommen.
Infos zur wöchentlich durchgeführten Wanderung unter www.raurisertal.at – Erlebnisausstellung mit zahlreichen interessanten Filmen und interaktiven Elementen im Nationalpark-Haus „König der Lüfte“ in Rauris-Wörth www.nationalpark.at. Noch näher ran als in der „Kruml“ kommt man nur jenen imposanten Greifvögeln in der Greifvogelwarte an der Bergstation der Rauriser Hochalmbahn.