Ich habe geträumt von unberührter Natur, sattem Grün und endloser Freiheit. Jetzt suche ich das kleine Abenteuer und will über Stock und Stein zurück zum Ursprung wandern. Und für dieses wilde Abenteuer muss ich nicht über die Landesgrenzen hinaus – im Herzen des SalzburgerLands, im Nationalpark Hohe Tauern, kann man bei einer geführten Exkursion tief hinein ins einzigartige „Wildnisgebiet Sulzbachtäler“ vordringen.
Mit dem historischen Grundankauf von 3.000 Hektar im Obersulzbachtal entstanden im Jahr 2016 im Nationalpark Hohe Tauern ein in den Ostalpen einzigartiges Wildnisgebiet zwischen schneebedeckten Dreitausendern und dichten Wäldern. Dort, wo die Gletscher schmelzen und nach so langer Zeit wieder Boden freigeben, kann sich die Natur völlig unbeeinflusst entwickeln. Bäche sprudeln wild und unverändert und die Vegetation zeigt keine Spuren menschlicher Nutzung. Diese Wildnis ist gut behütet und auf eigene Faust ist man hier nicht unterwegs. Doch gemeinsam mit erfahrenen Nationalpark Rangern kann dieses einzigartige Juwel bei geführten Touren erforscht werden.
Durch die Wildnis zum Gletscher
Hannes Millgrammer aus Bramberg ist Nationalpark-Ranger und Ski- & Bergführer. Die Berge seiner Heimat kennt er wie seine Westentasche und nach unzähligen Gipfelsiegen ist er nicht ganz so leicht zu beeindrucken. Trotzdem verrät er über die im Sommer 2020 neu angebotene Tour: „Lange schon habe ich von der Schönheit dieses Gebiets gehört. Als ich zum ersten Mal die Wanderung durch beinahe wegloses Gelände zum Gletscher unternahm, war ich aber dennoch unglaublich beeindruckt. Von moderner Kulturlandschaft geht es durch die Außen- und Kernzone des Nationalparks im Untersulzbachtal bis tief hinein ins Wildnisgebiet. Schritt für Schritt nimmt man die Veränderung wahr und lässt das Wilde und Urspüngliche auf sich wirken.“
Die an acht Terminen im Sommer angebotene geführte Tour ist perfekt für fitte Wanderer. Denn etwas Trittsicherheit und Kondition sind für die 1.000 Höhenmeter und rund fünf Stunden Gehzeit mitzubringen. „Wir treffen uns am Parkplatz beim Einödhof am Eingang des Untersulzbachtals. Mit dem Tälertaxi geht es rund zehn Kilometer hinein ins Tal zur Aibichlalm. Vom Forstweg zweigt man ab auf einen alten Karrenweg und wandert etwa 30 Minuten zur Aschamalm. Hier befinden wir uns noch in der Außenzone des Nationalparks und Kühe und Schafe grasen auf den Almwiesen zwischen dem lichten Lärchenwald. Nach der Hütte betreten wir die Kernzone, die bereits in den letzten Jahren schon nicht mehr landwirtschaftlich genutzt wurde. Die Veränderung ist spürbar, das Gras steht hoch und alles wirkt wilder – nicht mehr kultiviert und gepflegt. Hier können wir mit etwas Glück schon Hirsche sehen, denn hier wird auch nicht gejagt und die Tiere sind nicht scheu. Wir gehen schon auf einem alten, kaum erkennbaren Steig den wir Ranger kennen“, verrät Hannes Millgrammer.
Eintritt in die Wildnis
Mit Begeisterung in der Stimme fährt der Ranger seine Erzählung fort: „Wir nähern uns der Wildniszone und wandern entlang eines Baches bis zu einer Tafel an einer alten Stein-Umfriedung. Ab hier betreten wir das Wildnisgebiet! Schritt für Schritt merkt man, dass es wilder wird. Die Landschaft ist verwuchert und eine markant größere Artenvielfalt erwartet uns. Wir sind hier über 1.800 m und bewegen uns entlang des Untersulzbaches. Die Landschaft und unser Weg verändert sich ständig – wir durchqueren Steinschlaghalden, links und rechts ragen hohe Felswände auf, manchmal klettern wir über Steine oder suchen unseren Weg direkt am Bach, der tosendes Schmelzwasser führt. Hier spürt man die wilde Kraft der Natur. Mit etwas Glück erspähen wir Gams oder Steinbock und Bartgeier bevölkern den Luftraum über uns. Nach einer steilen Geländestufe befinden wir uns auf einer großen ebenen Fläche, wo vor etwa 20 Jahren noch dickes Gletschereis lag. Hier kann man spannende Prozesse beobachten, wenn die Natur ihren Raum wiedergewinnt. Pionierpflanzen wie der Gletscher-Hahnenfuß sprießen und zaghaft kommt die Vegetation zurück. Hier rasten wir erst einmal und lassen die Eindrücke auf uns wirken.“
Jungfräulicher Boden
Müde Wanderer verbleiben am Rastplatz mitten in der Wildnis. Doch ein kleines Abenteuer erwartet jene, die noch weiter in die Wildnis vordringen wollen. „Wer noch Kraft hat und mag, kann mit mir noch weiter über eine glatte Felsstufe hinauf direkt zur Gletscherzunge gehen. Hier wartet etwas ganz Besonderes: Jungfräulicher Boden, der Jahrhunderte unterm Eis lag und nun erst seit wenigen Tagen frei liegt – und wir sind die ersten, die diesen Boden betreten. Ausgestattet mit Steigeisen an den Schuhen wandern wir ein kleines Stück übers Gletschereis. Nach diesem Ausflug ins ,ewige Eis‘ kehren wir über denselben Weg wieder zurück und verlassen Schritt für Schritt die Wildnis“, erzählt der Ranger über die neue Tour, die das Wildnisgebiet bei einem abenteuerlichen Tagesausflug erreich- und erlebbar macht.