Regentropfen halten einen echten Outdoor-Fan nicht von einer kleinen Wanderung ab. Im Gegenteil, gut ausgerüstet hat eine nicht allzulange Tour im warmen Sommerregen seine eigenen Reize. Laut Wetterbericht soll sich am Nachmittag sogar die Sonne zeigen, also wähle ich für meinen Regen-Ausflug den Bachlehrweg im Hollersbachtal – denn hat der Wetterfrosch recht, belohne ich mich beim späteren Sonnenschein mit einem Sprung in den Naturbadesee „Hollidee“.
Im Herzen der Nationalparkregion Hohe Tauern liegt das idyllische Kunst- und Kräuterdorf Hollersbach mit rund 1.200 Einwohnern. Klare Gebirgsbäche, Wasserfälle und Bergseen sorgen für den Wasserreichtum dieses Nationalpark-Tals. Welche Tiere die Bäche und ihre Ufer bewohnen, wie sich der Lebensraum Bach gestaltet und wie die Kraft des Wassers auf das Ökosystem wirkt, wird auf diesem Weg erklärt.
Ich starte am Taleingang des Hollersbachtals, am kleinen Hollersbachstausee, und marschiere am östlichen Ufer des Baches los in dieses wunderschöne Trogtal. Wie die meisten Täler des Nationalparks verdankt auch das 18 km lange Hollersbachtal sein Aussehen den urzeitlichen Gletschern, die einst die Landschaft bedeckten und mit ihrer zäh fließenden Gewalt die Tauerntäler überformten. Dicke Nebelschwaden hängen wie Watte in den Bäumen und geben der Landschaft ein sanftes Aussehen. Die Geräusche sind durch den leichten Regen gedämpft und selbst die Vögel und Insekten ziehen es bei diesem Wetter vor, in ihren Unterschlüpfen zu bleiben. Dank Regencape mit Kapuze bleibe ich, und mein Rucksack darunter, aber trocken und trotze dem Regen mit einem Lächeln.
Vorteile einer Regenwanderung
Der Vorteil einer Regenwanderung zeigt sich schnell: Ich scheine das ganze Tal für mich allein zu haben! Das Gehen in der Stille hat etwas Meditatives und selbst, dass sich das beeindruckende Panorama noch in den Wolken versteckt, schmälert das Outdoor-Erlebnis nicht. Die Luft ist wie frisch gewaschen und feine Regentropfen verirren sich auf meine Nase, während ich entlang des Hollersbachs Richtung Wirtsalm wandere. Große Felsen und Steine bilden das Bachbett, in dem das Wasser wegen des Regens mit hoher Fließgeschwindigkeit sprudelt. Nur hie und da, wo sich Buchten im Ufer gebildet haben, scheint das Wasser still zu stehen und auf Kies und Sand zu rasten, bevor es wieder Fahrt aufnimmt und talauswärts strömt.
Wasserfeste Wasseramsel
Eine Wasseramsel lässt sich vom Regen ebenfalls nicht beeindrucken, denn ihr Jagdrevier ist ohnehin der nur 10° C kalte Bach. Wie ich auf einer der zwölf Informationstafeln nachlese, stehen Wasserinsekten auf dem Speiseplan dieses schiefergrauen Vogels mit reinweißer Kehle und Bauch. Wasseramseln zählen zu den wenigen Singvögeln, die schwimmen und tauchen. Und wie zur Bestätigung taucht ,meine’ Wasseramsel unter und ich zähle laut Sekunden mit, bis sie wieder aus dem Bach auftaucht. Lachend gehe ich weiter um bei den nächsten Tafeln mehr über das Ökosystem Schluchtwald und den Grau-Erlenbestand entlang des Baches zu erfahren. Die Grau-Erle ist ein bodenverbessernder Pionierbaum, der Stickstoff in der Luft bindet und die nassen Bachufer sichert.
Rehragout auf der Senningerbräualm
Wie im Flug vergeht die Zeit und schon komme ich zu den „Stoahog“. Diese alten Steinmauern wurden früher angelegt, um Besitzverhältnisse abzugrenzen oder Weidevieh einzuzäunen. Stein für Stein wurde in mühsamer Arbeit aufeinander getürmt für diese auch optisch sehr schöne Einfriedung. Diese selten gewordenen Zäune sind auch Lebensraum für viele Reptilien. Eidechsen, Schlangen und Blindschleichen zeigen sich allerdings heute nicht – sie warten auf die Sonne, um sich auf den Steinen zu wärmen.
Auch ich habe mir jetzt, am Ende des Lehrwegs einen wärmenden Kaffee verdient! Also kehre ich ein in die Senningerbräualm, wo die Wirtsleute Margit und Thomas Holzer überrascht lachen, als ich mich in der warmen Stube aus meinem tropfnassen Regencape winde. Aus der Küche duftet es und Margit verrät: „Es steht ein Rehragout am Herd.“ Schnell lasse ich mich zu einer Planänderung überreden und genieße eine große Portion dieses herrlichen Wildgerichts. Plötzlich kitzeln Sonnenstrahlen meine Nase und aus dem Hüttenfenster sehe ich, wie sich die Nebel lichten und blauer Himmel erscheint. Ich verabschiede mich von den Hüttenwirten und fahre mit dem Nationalpark Taxi zurück zum Parkplatz.
Sommerlicher Ausklang am Naturbadesee
Dank der mittlerweile wieder sommerlichen Temperaturen werde ich den Nachmittag wie geplant am wunderschönen Naturbadesee, der Hollersbacher Freizeitanlage „Hollidee“ ausklingen lassen. „So werden wetterfeste Wanderer von Petrus belohnt“, denke ich lachend, als ich mein Handtuch am Ufer des Sees ausbreite und mit einem Juchitzer ins klare Wasser springe.
Fotos © NPHT, mittersillPlus