Wenn die Menschen zu Erholungszwecken in die Natur aufbrechen, dringen sie automatisch in den Lebensraum der dortigen Tier- und Pflanzenwelt sein. Da sind Rücksichtnahme und Fingerspitzengefühl gefragt.
Der LebensTraum der Skifahrer
Meterhoher Pulverschnee und klirrend-kalte Temperaturen. Verlockende Tiefschneehänge abseits der Pisten. Leuchtende Augen bei den Wintersportlern. Staubender Schnee bei den ersten Schwüngen im grenzenlosen Weiß. Eine Stärkung am Gipfel gibt Kraft in den Wadeln. Ein lauter Juchitzer und hinab geht es den jungfräulich unverspurten Steilhang. Das Herz schlägt laut vor lauter Glücksgefühlen.
Der Lebensraum der Wildtiere
Meterhoher Pulverschnee und klirrend-kalte Temperaturen. Unendlich mühsames Fortbewegen im Tiefschnee für Reh, Gams und Hirsch. Müde Augen auf dem Weg zur nächstgelegenen Winterfütterung. Energiereserven fast aufgebraucht. Und plötzlich ein lauter Juchitzer! Flucht und Deckung suchen durch tiefen Schnee. Das Herz rast vor Beunruhigung.
Zwei Szenarien, die öfter aufeinander treffen, als man glaubt. Meistens unbemerkt von den Tourengehern oder Freeridern, die auf den nächsten perfekten Schwung im Tiefschnee fokussiert sind, und das in Panik flüchtende Wild nicht wahrnehmen. Wer jedoch schon mal ein paar Meter durch hüfttiefen Schnee stapfen musste, der weiß, wie sehr das an den Kräften zehrt. Lebenstraum und Lebensraum überschneiden sich zwangsläufig, wenn man als leidenschaftlicher Wintersportler nicht auf den perfekten Powder verzichten möchte. Die wenigsten ahnen auch, welche Beunruhigung sie im Winter durch Abfahrten abseits der Pisten auslösen, und dass eine so provozierte Flucht nicht selten mit dem Tod des Tieres endet.
Tiefschneetauchen
Wie herrlich klingt das in Kombination mit Powder-Latten und frischem Pulver. Tiefschneetauchen für das Schnee- oder Birkhuhn hat allerdings eine andere Bedeutung: In Schneehöhlen schützen sie sich vor der Kälte und harren dort bis zur nächsten Wetterbesserung aus. Für den zweibeinigen Tiefschneetaucher ist diese Schneehöhle nicht zu erkennen auf seinem Weg durch das glitzernde Weiß, und nicht selten rasieren die messerscharfen Kanten der Skier mitten durch die Schneehöhle.
Kein „Zeigefinger-Gewackle“
Die Aktion „RespekTiere deine Grenzen“ will Tourengeher, Freerider und Schneeschuhwanderer einbinden in den respektvollen Umgang mit Wald und Tieren. Dabei wird jedoch nicht mit dem drohenden Zeigefinger gewackelt und Verbote ausgesprochen. Das Aufzeigen der Zusammenhänge reicht meist schon für ein verantwortungsbewusstes Verhalten „off pist“. Der Pongauer Berufsjäger Hubert Stock ist Projektleiter der Initiative „RespekTiere deine Grenzen“ und erklärt: „Unsere Aktivitäten abseits der Piste berühren die Lebensräume der anderen Bewohner unserer Natur. Wer informiert ist und versteht, zeigt auch viel mehr Verständnis. Das Verständnis führt oft zu Verzicht – und das ist mehr, als ein jedes Verbot bewirken könnte. Im Fall eines Tourengehers kann das eine alternative Aufstiegsroute sein und eine mit Bedacht gewählte Abfahrt. Darauf zielt unser Aktion ab und mit Tafeln in den Skigebieten und am Beginn der Touren-Aufstiegsrouten weisen wir darauf hin. Neben der Verletzung junger Bäume durch die Skier, fängt das von ihren Futterplätzen geflüchtete Wild aus Nahrungsmangel im Schutzwald an, Bäume zu schälen und Triebe zu verbeißen. Diese Bäume verlieren ihre Schutzfunktion gegen Lawinen und Lawinen wiederum gefährden die Wintersportler.“
Ein spielerisches Experiment
Für ein Experiment trommle ich die Tourengeher und Freerider im Freundeskreis zusammen und bitte sie zu einem Spieleabend. Sie alle verbindet die Liebe zum Tiefschnee und großes Verantwortungsbewusstsein: nur perfekt ausgerüstet bewegen sie sich abseits der Pisten, um ihr Leben und das der anderen zu schützen. Auf die Frage, ob sie bei ihren Abfahrten Wild beunruhigen, kommt unisono die Antwort: „Nein! Ich seh nie etwas. Das würd ich nicht tun.“
Das Brettspiel von „RespekTiere deine Grenzen“ simuliert einen harten Winter in der Natur. Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Reh, Gams, Steinbock oder Hirsch und ihr Ziel ist es, über den Winter zu kommen. In der ersten Spielrunde noch ganz ohne Einfluss der Menschen. An Futterstellen wird Nahrung aufgenommen und wenn eine Aktionskarte zum Beispiel Schneestürme ankündigt, wird im Wald Deckung gesucht. Findet ein Tier keine Nahrung mehr, so ist die Runde an dieser Stelle für den Spieler vorbei. Übersteht man die Notzeit aber, beginnt die zweite Runde: ein Winter MIT Störungen durch den Menschen. Schnell wird meinen Mitspielern klar, dass es für ihre Spielfigur ums Überleben geht, sobald die Aktionskarte Mensch gezogen wird. „Eine Gruppe Tiefschneefahrer taucht überraschend an der Fütterung auf. Alle Tiere verlieren 6 Energiepunkte,“ lese ich die Ereigniskarte vor und resigniert wird das Reh vom Spielfeld genommen: „Das war´s dann. Ich bin verhungert!“
Ein nachdenkliches Stirnrunzeln macht sich nach Spiel-Ende breit. Um die Vorfreude auf die bevorstehende Skitour nicht zu ruinieren, sehen wir uns unter www.respektieredeinegrenzen.at/salzburg/ die Ruhezonen-Karte an. Auf dieser Karte sind jene Bereiche rot markiert, in denen im Winter keine Beunruhigung des Wildes stattfinden sollte. Vorgeschlagene Ausweichrouten für Tourensportler sind ebenfalls eingezeichnet und wir planen anhand dieser Karte die nächste Tour. So kommt zur Komponente Tiefschnee und Glücksgefühl auch noch jene eines guten Gewissens hinzu.