„Uh, heute greift der Bauer zur höheren Stellage.“ Ist wohl ein Festtag – der teure Vogelbeerschnaps wohnt nicht griffbereit. Doch warum ist dieser Edelbrand so kostbar?
Wir tauchen in die Geheimnisse des Vogelbeerschnapses ein:
- Wie die Vitamine in die Flasche kommen
- Warum der Edelbrand Wunden heilt
- Was ihr beim Trinken beachten sollt
Ausgiebige Arbeitsschritte, Abenteuer und Ausdauer – der Schlüssel zum Vogelbeerschnaps liegt im Handwerk. Die saftigsten Beeren nützen nichts, wenn man kein Brennrecht habt. Diese gesetzliche Erlaubnis besitzen bei uns im SalzburgerLand viele Bauernhöfe. Ja, die Liegenschaften. Brennrechte gehören dem Anwesen, nicht der Person.
Und man braucht Obst. Den Luxus von Obstplantagen genießen Bauernfamilien im Gebirge nicht. Hin und wieder schenkt ein Obstgarten reiche Ernte – sonst wachsen die Früchte auf Streuobstwiesen. Äpfel, Birnen, Zwetschken – die Schnapstiger brennen alles, was wächst. Jetzt geht es allerdings um eine Rarität: den Vogelbeerschnaps.
Vom Baum ins Fass
Vogelbeeren pflücken ist eine Wissenschaft: Handarbeit lautet die Devise. Auf Steilhängen wachsen die Beeren so weit oben, dass sie für die oft Menschen unerreichbar sind. Die Knospen hinter den Dolden leiden im nächsten Jahr, verletzen sie die Pflücker*innen. Vorsicht ist angesagt. Bei guter Ernte ist eine Vogelbeertraube mehr als handgroß. Die Bauersleute entfernen nach dem Pflücken die Stiele und Blätter von den Beeren. Hilfsmittel unterstützen die Handarbeit:
Viele setzen auf „Halb-Automatik“. Schnapsflüsterer reiben die Trauben durch ein Gitter – abrebeln heißt dieser Vorgang. Stiele verschwinden. Die Windmühle trennt die Früchte von Blättern. Eine Obstmühle zerkleinert – nein, reißt die sauberen Beeren eher auf. Ab ins Maischfass mit ihnen!
Luftdicht verschlossen in den Fässern gelingt dem Fruchtzucker ein Kunststück: Er glänzt als Alkohol. Dank einer Gärglocke entweichen Gärgase – Sauerstoff hat Fassverbot. Je nach Zuckergehalt verbringen die Maischfässer einige Wochen im Keller.
Winterarbeit: Vogelbeerschnaps brennen
Früher war das Schnapsbrennen Arbeit, wenn es draußen stürmt und schneit – die Leute hatten Zeit. Heutzutage beginnen manche schon im Herbst – denn guter Schnaps gärt nicht zu lange. Messgeräte verraten, ob der Gärprozess abgeschlossen ist. Die Schnapsbrenner setzen zusätzlich auf eine Probe, die seit Jahrhunderten funktioniert:
Sie halten ein brennendes Streichholz einige Zentimeter über die vergorene Maische. Erlischt es, ist die Zeit noch nicht reif – Gärgase steigen auf und geben dem Feuer keine Chance. Das Gärgas ist schwerer als Sauerstoff und residiert am tiefsten Punkt oberhalb der Maische. Leuchtet das Feuer im Fass, beginnt der Spaß.
In den Schatzkammern der Bauernhöfe logiert das „Brennzeug“. Brennofen, Brennkessel und alles, was die Landwirte zum Vogelbeerschnaps brennen aus ihrer Trickkiste holen, beinhaltet dieser Begriff.
Der Brennofen/Brennkessel birgt ein Geheimnis: Zwei Wände. Die Außenwand ziert den Kupferkessel von Außen, die Innenwand ist die Brennblase. Hier findet die Maische ihre letzte Ruhestätte. Oder doch ihren Platz zur Wiedergeburt? Zwischen den Wänden brodelt Wasser. Dieses Wasserbad sorgt dafür, dass die Maische nicht anbrennt. Ein Rührwerk unterstützt dies in modernen Brennutensilien ebenso.
Die Schnapsbrenner setzen dem Brennofen einen kupfernen Helm auf – „Brennhuat“ heißt er bei uns. Dicht verschlossen, nur mit einem Übersteigrohr verbunden.
Jetzt folgt der heikelste Arbeitsschritt: Das Einheizen.
Nicht zu warm, nicht zu kalt. Feinstes Fingerspitzengefühl. Moderne Brenngeräte heizen elektrisch – die wahren Schnapsflüsterer setzen auf Holz. Vogelbeerschnaps-Dampf steigt auf und strömt durch das Übergangsrohr. Eine Kupferspirale oder ein Tellerkühler besänftigen den Dampf – er kondensiert. Dieser Vorgang ist das Destillieren. Das Ergebnis? Sieht aus wie Schnaps, hat allerdings in der Flasche nichts verloren. Profis sprechen von „Rauhbrand“ – bei uns heißt es lieblos „Britschn“. Die Maische meistert ihren Dienst am Kompost.
Das Geheimnis vom Vogelbeerschnaps
Wieder von vorne. In den Brennkessel wandert der „Rauhbrand“ – er durchläuft noch einmal den Brennvorgang. Ihr habt sicher schon einmal von einem „Doppelt Gebrannten“ bzw. vom „Feinbrand“ gehört? Dieser doppelte Brennvorgang lauert hinter dem Geheimnis. Was jetzt rauskommt, ist fast fertiger Vogelbeerschnaps. Aber halt nur fast.
Der erste Teil ist sehr stark – rund 75 Volumsprozent Alkohol. Dieser „Vorlauf“ dient durch Ansetzen als Medizin für Mensch und Tier: Zum Einreiben bei Wunden.
Das Kernstück – der hochwertige Mittelteil – bildet die Basis für den Vogelbeerschnaps. Minderwertig fließt der Nachlauf aus dem Brennzeug und findet keinen Platz in der begehrten Flasche.
Im Schnitt weist der Edelbrand 50 % Vol. Alkohol auf – nach Gusto verdünnen die Schnapszauberer diese Delikatesse mit destilliertem Wasser auf rund 40 %. Manche schwören auf frisches Quellwasser. Erneut Feingefühl: Beim Mischen von Vogelbeerschnaps und Wasser müssen diese exakt die gleiche Temperatur haben, ansonsten trübt sich der Brand.
Aus 200 l Vogelbeer-Maische gewinnen Bauersleute ca. 2 l reinen Alkohol –
das sind etwa 5 l Vogelbeerschnaps mit 40 % Vol.
Dies ist „nur“ das Grobe beim Schnapsbrennen – jeder Schnapsflüsterer hütet seine Brenn-Geheimnisse. Und jetzt? Nein. Nicht sofort trinken. Am besten ihr lagert den Schnaps für zwei Jahre. Noch besser: Ihr versteckt ihn und findet den Vogelbeerschnaps erst nach 10 Jahren wieder – dann explodieren eure Geschmacksknospen! Und auf keinen Fall kühlen. Dieser Schnaps liebt Zimmertemperatur.
Medizin, die schmeckt
Vogelbeerschnaps verfeinert nicht nur besondere Anlässe, er dient auch als Heilmittel: Alte Bäuerinnen kennen den Vogelbeerschnaps als „Weiberleitschnaps“. Auf nüchternen Magen, jeden Morgen ein Stamperl. Wechselbeschwerden und Wehwehchen von Körper bis Seele verschwinden.
Bei einem flauen Magen wirkt der Gang in den Keller wahre Wunder. Ein Schlückchen Vogelbeerschnaps renkt die Übelkeit ein. Besonders auf Reisen: Ein Schluck Edelbrand am Morgen, vertreibt Durchfall, Bauchschmerzen und Sorgen.
Gicht, Rheuma, Husten, Bronchitis und Hämorrhoiden – ein Mund voll mindert die Qualen.
Ihr singt gerne? Vogelbeerschnaps schmiert die Stimmbänder – ist ein Geheimrezept für euren Auftritt.
Der Vogelbeerschnaps: König der Edelbrände
Die Sonne zaubert die Vitamine in die Beeren – die Schnapsmagier in die Flaschen. Viele Schritte sind notwendig, damit Vogelbeerschnaps auf das höchste Regal im Keller klettert. Geheimnisse der Schnapsbrenner*innen wandern in den Edelbrand – Handarbeit versiegelt die Vitamine.
Schnaps wirkt auf den ersten Blick als ungesund – die Dosis macht das Gift. In Maßen genossen, bewirkt der Vogelbeerschnaps wahre Wunder. Weil Gesundheit ist das höchste Gut – das wusste schon Sebastian Kneipp.
Wer nicht jeden Tag etwas für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern.
Sebastian Kneipp