Stille… absolute Stille. Wenn ich genau hinhöre, kann ich sogar die Schneeflocken ringsum im dichten Nebel fallen hören. Kurvenreich ist die Großglockner Hochalpenstraße mit ihren 36 Kehren auf 48 Kilometern zwischen Fusch und Heiligenblut. Doch jetzt verhüllt sie ihre Kurven noch mit einer meterdicken Schneedecke, und wo über die Sommermonate Besucher die Aussicht genießen, herrscht jetzt Ruhe und Einsamkeit.
Ich stehe mit Peter Embacher südlich des Fuscher Törls auf rund 2.400 m Seehöhe und warte. Peter ist der Herr der Schneeräumung hier auf der Glocknerstraße, der höchstgelegenen befestigten Pass-Straße in Österreich und keiner könnte mir mehr über die Strapazen der alljährlichen „Kurven-Enthüllung“ erzählen, als er: „Ich habe vor gut 40 Jahren selbst als kleiner Schneeschaufler hier heroben angefangen – als Beifahrer der Schneeräumung.“ Heute ist er stellvertretender Betriebsleiter, Werkstätten- und Fuhrparkleiter, Zuständiger für die Schneeräumung und ganz nebenbei noch Eventmanager der Großglockner Hochalpenstraßen AG. Mit einem Schmunzeln fügt er hinzu: „Erst drei Jahre und viele Lehrstunden später, als einer der arrivierten Schneefräsen-Fahrer in Pension ging, durfte ich selbst den ‚Paul‘ steuern.“
Das scheint das Stichwort für seinen Auftritt gewesen zu sein. Plötzlich liegt ein Vibrieren in der Luft und ein leises Brummen schwillt an zu einem Getöse – und dann biegt er gemächlich um die Kurve. Groß, himmelblau, gefräßig und gut 60 Jahre alt – Paul, eine der fünf Rotationsschneefräsen „System Wallack“, die seit 1953 jedes Frühjahr für eine perfekt geräumte Großglockner Hochalpenstraße sorgen. Die fünf Fräsen wurden von Ingenieur Franz Wallack, dem Planer und Erbauer der Alpenstraße, speziell für diese hochalpinen Anforderungen entwickelt und tragen stolz die Namen der Maschinenbauingenieure, die mittüftelten am System Wallack: „Paul“, „Ander“, „Oskar“, „Jörgen“ – und der „Eisbändiger“.
Eigentlich sind die Rotationsschneefräsen schon längst im Pensionsalter. Paul ist die älteste der Fräsen und kommt nur noch selten zum Einsatz. Doch davon lässt sich Paul nichts anmerken. Wie eine gefräßige Raupe frisst er sich, pilotiert von Stefan Schwaiger, vor mir durch die meterhohe Schneedecke und spuckt die weißen Brocken 50 Meter über die Böschungskante. Drei Motoren mit je 120 PS sorgen für den Antrieb, das Fräsen und den Auswurf des Schnees.
Von den Anfängen der Schneeräumung
Während Paul um die nächste Kurve verschwindet und wieder Stille einkehrt, erzählt mir Peter von den Anfängen der Schneeräumung dieser beliebten Panoramastraße: „Am 3. August 1935 wurde die Glocknerstraße eröffnet und in den ersten Wintern schaufelten 350 Männer mit Handschaufeln rund 250.000 Kubikmeter Schnee, um die Straße einspurig befahrbar zu machen. Das dauerte damals etwa 70 Tage. Seit 1953 haben die Rotationsschneefräsen das Räumkommando übernommen. Ein Team von zehn Mann und fünf Fräsen kämpft sich gleichzeitig von Nord und Süd bis zum Hochtor vor. In weniger als einem Monat werden bis zu 800.000 Kubikmeter gefräst – mit Schneewänden von zehn Metern Höhe entlang der Asphaltstraße. In einem Rekordwinter sogar 21 Meter.“
Der braungebrannte, sportliche Mann in Tourenski-Ausrüstung, der nun zu uns tritt, wird mir als Peter Zirknitzer vorgestellt. Bergführer, Mitglied der Lawinenwarnkommission, Sprengmeister und „Spürhund“, denn er überwacht nicht nur täglich die Sicherheit der Räumung, er ist auch derjenige, der den Straßenverlauf aufspürt und markiert. Bevor die Schneeräumung beginnen kann, prüft er die Lawinensituation und sprengt Schneebretter ab. Mit einer Sonde „ertastet“ er die Straße und markiert sie für die nachkommende Pistenraupe, die entlang der Markierungen die erste Spur für Paul, Oskar & Co freischiebt.
Während nun endlich die Sonne ihren Weg durch den dichten Nebel findet und langsam das atemberaubende Panorama auf den 3.798 Meter hohen Großglockner freigibt, machen wir uns auf der geräumten Straße auf den Weg zurück zum Fuschertörl. Hier ist von der morgendlichen Stille nichts mehr zu spüren. Die ersten Hüttenwirte sind eingetroffen, um nach der langen Winterpause nach dem Rechten zu sehen. Eine Studiengruppe des Salzburger Flughafens macht sich auf den Weg, um sich von Stefan Schwaiger, dem Rotationsschneefräsen-Piloten, die Glockner-Schneeräumung vorführen zu lassen. Schwere Transportfahrzeuge und Radlader Schneepflüge schlängeln sich durch die Serpentinen des „Oberen Nassfelds“. Peter, der gerade ein Telefonat mit einem Kamerateam beendet, das in den nächsten Tagen Dreharbeiten über den Durchbruch der Schneeräumung auf der Glocknerstraße plant, erzählt: „Auch wenn ein Großteil der Straße wie die ‚Manggei’ noch im Winterschlaf ist – der Ansturm zu dieser Zeit vor dem offiziellen Aufsperren ist schon groß. Mercedes und die norwegische Schneepflug-Firma Overaasen führen hier gerade ihre Tests an ihren neuen Maschinen durch.“
Auf meine Frage, ob diese neuen Maschinen denn das bewährte „System Wallack“ ablösen werden, grinst Peter Embacher und schüttelt den Kopf: „Unsere Oldtimer sind unverwüstlich, extrem zuverlässig und es ist einfach nichts vergleichbares am Markt, was auf diese hochalpinen Bedürfnisse so perfekt zugeschnitten ist. Keiner fräst wie Jörgen, Paul und Oskar!“
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Fotos: Edith Danzer, GROHAG (1)