Das einzigartige Wasserscheibenschießen am Lungauer Prebersee.
Still und spiegelglatt liegt er da, der Prebersee. Hoch über ihm thront der Hausberg von Tamsweg, der 2.740 Meter hohe Preber, der im frühen Morgenlicht erstrahlt. Die weißen Nebelschwaden, die wie geheime Rauchzeichen über der dunklen Wasserfläche schweben, verleihen dem Bergsee in 1.514 m Seehöhe etwas Malerisches und Mystisches. Geheimnisvoll sind auch die Geschichten, die um das alljährliche Preberschießen an diesen alpinen Moorsee ranken.
Weich, dunkel, ruhig…
Einer (der vielen) Legenden nach soll durch einen Fehlschuss bei der Entenjagd das Phänomen des Sees entdeckt worden sein: Dank der vielen organischen Substanzen und hohen physikalische Dichte des Preberseewassers versinkt die abgeschossene Kugel nach dem Auftreffen auf die Wasseroberfläche nicht, sondern drückt nur eine ca. 3 cm tiefe Mulde in das Wasser und wird dann reflektiert. Einen „Geller“ nennen die Schützen diesen gewollten Querschläger, der beim Preberschießen ganz gezielt provoziert wird. Das weiche Wasser des Moorsees bietet dafür die besten Voraussetzungen und durch die dunkle Färbung des Sees entsteht bei Windstille ein deutlich sichtbares Spiegelbild.
Spieglein, Spieglein …
Im Fall des Preberschießens hängt Gebrüder Grimm´s vielzitierter Spiegel also nicht an der Wand, sondern liegt als glasklare Spiegelung der rund 120 Meter entfernten Zielscheibe im Wasser. Gezielt wird auf eben dieses Spiegelbild, und ermittelt wird durch den perfekten „Geller“ nicht der märchenhaft schönste, sondern der beste Schütze im ganzen Land. Selbst Walt Disney reist 1957 höchstpersönlich in den Lungau, um das Preberschießen zu filmen. Dabei hat er den See auch genau vermessen und untersucht um das Geheimnis zu lüften und, so die Erzählungen, das Phänomen in Amerika nachzubauen. Vergeblich! Denn der Prebersee gilt mit seinem kleinen (angeblich unterirdisch verbundenen) Nachbarn, dem steirischen Schattensee, weiterhin als einzigartig.
Die erste Preberseescheibe stammt aus dem Jahr 1834 und dokumentiert somit wohl auch den Beginn dieses einzigartigen Wasserscheibenschießens. Veranstaltet wird das Schießen von der „Schützengemeinschaft der privaten Schießstätte Tamsweg/Prebersee“ traditionsgemäß immer am dritten Augustwochenende. Mit Peter Kröll treffe ich mich frühmorgens am See. Wie ich ihn erkennen würde, wollte ich am Telefon wissen und die Antwort lautete: „Ich bin der mit Hirschbart am Hut!“
Als ich mich also am Morgen des ersten Schießtags dem See nähere, fallen mir nicht nur die unglaublichen Reflexionen des stillen Sees und die Warnschilder „Vorsicht, Lebensgefahr!“ auf, sondern – wie hätte ich es anders erwarten können – die vielen Männer in zünftiger Tracht, allesamt mit Hut und Hirschbart drauf. Ein echter Preberschütze geht eben nur mit Hut an den Schießstand. Peter Kröll, Vorstandsmitglied der Schützen, ist aber schnell gefunden und nimmt mich gleich mit zu den „Zielern“ auf der anderen Seeseite.
Löffelschwingen für einen „Fisch“
Erfahrene Zieler und eingeschulte Jugendliche, die sich mit dem Anzeigen der Treffer ein kleines Taschengeld verdienen, verbergen sich gut geschützt hinter den Zielscheiben. Kein leicht verdientes Geld, bei rund 200 Schützen. Nach jedem Schuss muss nämlich die Zielscheibe per Hand eingefahren und der Treffer markiert werden. Ist kein neuer Einschuss auf der Scheibe zu sehen, hat das Wasser die Kugel verschluckt und es wird durch ein Winken mit dem roten Zieler-Löffel ein „Fisch“ angezeigt. Bei einem Treffer wird dem Schützen zusätzlich noch die Position auf der Scheibe mit dem Löffel angedeutet. Wird ein „Blattl“ – also der innere Kreis mit 7 cm Durchmesser – getroffen, läuten die Zieler die Glocke und dem glücklichen Schützen wird eine kleine rote Plakette auf den Hut gesteckt. Der Zieler erklärt: „Und die Hex erscheint statt dem Zielerlöffel, wenn jemand den innersten Punkt mit 1 cm Durchmesser trifft. Für eine Hex bekommt der Schütze die silberne Hexennadel auf den Hut. Gibt es an einem Tag mehrere Hexen, wird genau vermessen, wer am besten getroffen hat.“
Jetzt heißt es für uns aber schnell wieder retour zum Schießstand zu kommen, denn es ist kurz vor 8 Uhr und bald schon werden die Kleinkalibergeschosse über den See pfeifen. Das neu renovierte Schützenhaus strahlt Wärme und Gemütlichkeit aus und ist mit unzähligen kunstvollen Schießscheiben dekoriert. Viele davon stammen aus der Hand von Peter Kröll, der nicht nur ein guter Schütze sondern auch ein begnadeter Künstler ist. Mittlerweile drängen sich um uns Teilnehmer aus ganz Österreich. Sogar einige Finnen, Deutsche, Italiener und Niederländer sind zu dem großen Schießen angereist.
Goldene Hexen am Hut
Ein lauter Böllerschuss eröffnet den ersten Schießtag und während Peter Kröll nun selbst zum Kleinkalibergewehr greift, mache ich es mir mit Oberschützenmeister Heimo Waibl in der Sonne gemütlich. Seit über 45 Jahren ist er Mitglied bei den Preberschützen, seit 2005 Oberschützenmeister und seit dem Vorjahr trägt er auch die „Goldene Hex“ am Hut. Das Zeichen, dass er das Preberschießen gewonnen hat. „Mein Vater war schon ein begeisterter Schütze und ich habe damals als Schreiber beim Preberschießen angefangen. Es braucht schon ein bisserl Können aber noch viel mehr Glück, um beim Wasserscheibenschießen ins Ziel zu treffen. Bei dieser Veranstaltung dürfen auch Nicht-Mitglieder ihre Zielgenauigkeit am Spiegelbild testen.“
Während im Hintergrund die Schüsse und vereinzelt auch das ersehnte Glockengeläut zu hören ist, strömen immer mehr Schützen vom nahe gelegenen Parkplatz herbei. „Heute sind die Bedingungen ideal – eine wunderschöne Spiegelung, kein Wind und keine Verzerrung. Es sieht ganz danach aus, als ob wir in diesem Jahr einen neuen Teilnehmerrekord bekommen“ meint Heimo Waibl und fragt mich, ob ich nicht auch mein Glück versuchen will. Das will ich!
Bei der Anmeldung bekomme ich meine Schusszettel und Munition für insgesamt 45 Schüsse – 5 Probeschüsse, 20 Versuche auf die Standscheibe und 20 Schüsse auf die Wasserscheibe. Bis zu meiner festgelegten Schusszeit blicke ich den versierten Schützen über die Schulter, vielleicht kann ich mir ja etwas abschauen. Peter Kröll steht noch im Schießstand und ist nicht zufrieden: „Die Blattl´n fallen heut nicht. Die Spiegelung ist wahrscheinlich zu schön für mich.“ „Acht, links, hoch“ vermeldet der Schreiber, und übersetzt mir so die Signale, die der Zieler am anderen Ufer mit dem roten Löffel anzeigt.
Die Fischerin vom Prebersee
Und schon werde ich aufgerufen, um erst auf die Standscheibe – ohne Wasserberührung – meine 20 Schuss abzugeben. Es ist klar erkennbar, dass ich ein blutiger Anfänger bin und ein Mitglied des Schützenvereins steht mir zur Seite und gibt mir wertvolle Tipps. Doch durch den Zielstachel erscheint die Scheibe in 120 Meter Entfernung plötzlich meilenweit weg. Und sie bewegt sich! Oder liegt es vielmehr daran, dass ich frei stehend mit dem ungewohnten Gewicht des Gewehrs keine ruhige Hand finde? Auf jeden Fall sorge ich anfangs für einen kräftigen Muskelkater des Zielers, der nach meinen Fehlschüssen laufend die Kelle schwingen muss. „Fisch! Fisch! Fisch!“ kommentiert der Schreiber hinter mir trocken und um nicht als „Fischerin vom Prebersee“ in die Geschichte einzugehen beherzige ich die Tipps, die mir die Schützen einflüstern. Ich nehme also Haltung an, atme tief ein und aus und als das Ziel endlich wieder an meinem Visier vorbeikommt, drücke ich ab. „6 tief. 8 links. 9 hoch“ lauten die hoffnungsvollen Ergebnisse und die Fische werden seltener.
„Das war jetzt der leichte Teil der Übung,“ meint Peter Kröll augenzwinkernd, als ich wieder nach draußen komme, denn nach ein paar Minuten im strahlenden Sonnenschein geht es für mich schon zur Wasserscheibe. Diesmal also ziele ich auf die Spiegelung, die glasklar im Wasser liegt, und der Zieler winkt und winkt und winkt… Irgendwann aber finde ich meinen Anhaltspunkt im Wasser und auf einmal fallen die Treffer. Und als plötzlich die Glocke läutet und mir die Schützen ringsum ein fröhliches „Schützen Heil!“ zurufen, muss sich meine Kugel in den mittleren Ring verirrt und mir ein begehrtes Blattl beschert haben. Es wird gratuliert und bevor ich richtig weiß, was los ist, hat man mir schon die rote Plakette angesteckt. „Du bist jetzt mit den anderen Blattl-Schützen Anwärter auf den Sieg“ wird mir erklärt, und vor lauter Ehrfurcht versenke ich meine letzten Schüsse wieder in die Peripherie des Prebersee-Wassers.
Es war halt doch nur ein glücklicher Ausreißer, doch das Läuten der Glocke sorgte bei mir, wie wohl auch bei den anderen Schützen, für einen Pawlowschen Reflex: Dem Bimmeln folgt ein zufriedenes Strahlen, das die roten Plaketten am Hut eigentlich überflüssig macht, denn am Strahlen erkennt man sofort den glücklichen Schützen.
Bis zum Eintreten der Dunkelheit wird an diesem Tag noch gezielt, getroffen, gefischt und ab und zu auch gebimmelt. Und schlussendlich darf auch die Hexe aus ihrem Versteck – Peter Bachmann aus Deutschland setzte seinen Schuss zielsicher in den innersten Kreis und ist in diesem Jahr Sieger des einzigartigen Preberschießens.
Fotos: Edith Danzer