Ein Minigletscher auf unter 1.000 Metern Seehöhe, unweit der Stadt Salzburg und in 45 Minuten zu Fuß zu erreichen? Komprimierter Schnee, der den ganzen Sommer überdauert und unter dem sich domartige Höhlen bilden, die bis zu fünf Meter hoch werden und durch die sich im unwirklichen Licht glitzernde Bäche ziehen? Dass man im SalzburgerLand immer wieder auf Kuriositäten und spektakuläre Launen der Natur stößt, ist jetzt keine Neuigkeit, doch was ich nach einer kurzen Wanderung hier erlebe, übertrifft alles bisher Gesehene. Fast wie vor einem Relikt aus einer längst vergangenen Eiszeit stehe ich schließlich vor der Eiskapelle, grabe meine Hände in den Schnee, hüpfe über die unzähligen Wasserläufe und kann mich an den außergewöhnlichen Eisgebilden kaum sattsehen. Könnten Sie sicherlich auch nicht…
„Der Weg ist immer besser als die schönste Herberge.“ (Miguel de Cervantes, spanischer Schriftsteller, 1547 – 1616)
Seit mir mein Großvater vor vielen Jahren dieses Sprichwort mit auf den Weg gegeben hat, bin ich dem Wandern verfallen. Es gibt wenig, was mir so viel Freude bereitet, wie das Marschieren durch die unberührte Natur. Wanderschuhe, ein gut sitzender Rucksack – mehr braucht man nicht, um sich auf den Weg zu machen. Dabei kommt es mir gar nicht so darauf an, ob eine Tour lang oder schwierig ist. Oft finde ich sogar die meiste Freude an kurzen, knackigen Wegen. Durch die man schnell am Ziel ist und noch körperliche Reserven für weitere Aktivitäten hat. Eine dieser schnellen Wanderungen ist die vom Hintersee zur Eiskapelle. Nachdem ich das Auto auf dem Parkplatz unweit des Sees abgestellt habe, geht es über eine Schotterstraße in Richtung Wald. Noch ein letzter Bauernhof, friedlich grasende Kühe und schon verlasse ich die Zivilisation auf einem leicht bergauf führenden Weg.
Kurze Wanderung für Jung und Alt
Bienen surren von Blüte zu Blüte, über mir zieht ein Greifvogel seine eleganten Bahnen und innerhalb kurzer Zeit macht sich ein entspanntes Gefühl in mir breit. Das ist das Schöne am Wandern. Den Kopf frei bekommen, endlich einmal an nichts zu denken. Doch so ganz stimmt das jetzt gerade dann doch nicht. Viel zu sehr beschäftigt mich das Naturschauspiel, das nur mehr wenige hundert Meter vor mir liegen soll. Eiskapelle heißt es, und wie man überall lesen kann, handelt es sich dabei um ein Phänomen, das es in dieser Form nicht oft gibt. Ein Minigletscher auf nur 850 Metern über dem Meer. Schnee, der den ganzen Sommer über hier liegenbleibt und Aushöhlungen im Eis, die bis zu fünf Meter hoch werden sollen? Die Spannung steigt, während ich durch den leicht im Wind rauschenden Wald gehe und die Felswände vor mir näher und näher kommen. Was für ein Bild, denke ich noch und gebe mich wieder meinen Gedanken hin.
Der Schnee als Baumeister
Die Winter sind streng im SalzburgerLand. Besonders hier in der Gegend um den Hintersee, die ja seit vielen Generationen als Schneeloch gilt, fällt zudem richtig viel Schnee. Immer wieder stürzen Lawinen von den steilen Hängen in den extrem engen Graben des Grießbaches am Fuße vom Wieserhörndl (1.567 Meter) und Anzerberg (1.469 Meter) herab und begraben diesen unter einer meterdicken Schicht. Doch nicht an der Masse, sondern vor allem an der Fallgeschwindigkeit (über 750 Meter fällt der Schnee hier in die Tiefe) liegt es, dass sich die weiße Pracht über alle Maße verdichtet und vergletschert. Im Frühling, wenn der Schnee wieder zu schmelzen beginnt, wird das untere Ende des Firnkegels immer mehr unterhöhlt, was große, domartige Räume entstehen lässt.
Nachdem ich die letzten Meter im Bachbett des Grießbaches zurücklegen musste, liegen sie plötzlich vor mir. Riesige Schneegebilde, die in der Sonne glitzern und ob ihrer wabenartigen Struktur wie von einer anderen Welt zu sein scheinen. Immer wieder kann man in ihr Inneres blicken, die Wassermassen erkennen, die sich von dort ihren Weg ans Tageslicht suchen. Wie ein kleines Kind hüpfe ich über die Wasserläufe, suche mir immer wieder neue Perspektiven und machen ein Foto nach dem anderen von dieser Laune der Natur. Das Schöne ist, dass diese kurze Wanderung noch nicht allzu viele Leute kennen und die Eiskapelle noch zu den Geheimtipps im SalzburgerLand zählt. So verbringe ich ca. eine halbe Stunde hier, bin völlig alleine und genieße die spektakuläre Szenerie, das Eis, schroffe, weit in die Höhe ragender Felsen und die vielen Wasserfälle.
Am Weg zurück nehme ich noch den längeren Weg um den Hintersee und genieße den sonnigen Tag am Wasser. Auch wenn diese Wanderung nur kurz war, wird sie einen bleibenden Eindruck bei mir hinterlassen. Und ich werde wiederkommen…
Dauer: ca. 1,5 Stunden
Schwierigkeit: Leicht mit festem Schuhwerk
Bis auf das letzte Stück auch für Kinderwägen geeignet
Fotos © Peter Zeitlhofer