Das traditionelle einheimische Heilwissen erweckt die Aufmerksamkeit der Menschen und überzeugt durch Beständigkeit. Was über Jahrhunderte weitergetragen wurde, kann kein Zufall sein. Die Salzburger mögen ihre Kräuterrezepturen und erzählen sie mit Begeisterung.
Sirupe aus Spitzwegerich und Löwenzahn, Pechsalbe aus Fichtenharz, Tinktur aus Arnikablüten und Johanniskrautöl – das ist gelebtes, traditionelles Heilwissen, kurz TEH. Spitzwegerich ist so alltäglich, dass wir ihn kaum beachten. Ganz anders im Garten von Thurerhofs Kräuterwelt im Salzburger Seenland: Hier hat jedes auch noch so unscheinbare Pflänzchen seinen Ehrenplatz. TEH-Praktikerin und Bio-Bäuerin Claudia Dirnberger beobachtet ihre Gäste gerne, wenn sie durch das Gartentor treten und ganz ehrfürchtig innehalten. „Hier ist eine gute Energie“ sagen die Menschen, wenn sie das angenehme Bauchgefühl nicht ganz erklären können. So wie sich der Wegerichsamen an unsere Schuhe heftet und hinausgetragen wird, so heftet sich das Kräuterwissen an die Besucher von Claudias Garten und begleitet sie nach Hause. Die Garteneindrücke prägen sich ein.
Im Kleinen das Große sehen
Von einem großen Garten mit geschwungenen Wegen hat Claudia schon als Kind geträumt. Der Traum ist jetzt Wirklichkeit und er ist ihr Handwerkszeug, um das regionale Heilpflanzenwissen zu den Menschen zu tragen. Inzwischen ist im SalzburgerLand ein dichtes Netz an wunderschönen Kräutergärten entstanden. Der große Kräutergarten vom Kloster Gut Aich in St. Gilgen etwa, der Kräutergarten Hoadabauer in Embach oder der Kräuterweg beim Lutzbauern in Unken stellen die kleinen, wirksamen Heilpflanzen in ein besonderes Licht und bieten den Gästen neben der Augenweide ein unglaubliches Dufterlebnis. Schaugärten verschaffen Achtsamkeit. Schon Adalbert Stifter hat gemeint, wir sollen „im Kleinen das Große sehen“. Gartenbesucher erzählen später oft von den bleibenden Eindrücken: Auf einmal sehen sie die Vielfalt auf den Salzburger Wiesen und es fallen ihnen einzelne, bisher unbeachtete Pflanzen auf.
Spitzwegerich, Sonnentau & Co.
An der Feuerstelle erzählt Claudia am liebsten über die wunderbare Wirkung des Verräucherns von heimischen Kräutern und Wurzeln. Wer diese natürlichen Düfte einmal erlebt hat, verwendet sie gerne in den eigenen vier Wänden. Sohn Florian schmiedet dafür kunstvolle Räucherschalen, die das „Handwerk“ des Räucherns zu Hause vereinfachen. Ihr Mann Hans ist Imker, und seine Bienen summen eifrig im Kräutergarten herum. Nicht alle Pflanzen haben die Salzburger Bergwelt so lückenlos erobert wie der Spitzwegerich. Manche sind wählerisch mit ihrem Standort. Im Lungau wächst wild eine eigenwillig duftende Kostbarkeit, der Speik. Er mag die Berge besonders und kommt selten unter 1800 m Seehöhe. In seinen Hochzeiten waren die Speikgräber ein eigenes Gewerbe.In Seeham laden Claudia und ihr Mann an ausgewählten Tagen zu „Kräuterweibl und Wurzelmandl“. Dann verlässt sie den Garten und es geht durch Wiese, Wald und Moor, vorbei an Farnen und Schwammerln bis zur Feuerstelle, wo es köstliche Waldspätzle von frisch gesammelten Waldzutaten gibt. Nach dem Schmaus ist besondere Achtsamkeit geboten, denn im Moor wächst Sonnentau, eine winzige fleischfressende Pflanzenrarität, die leicht übersehen wird.
Hexenzauber im SalzburgerLand
Die
Landschaft Salzburgs mit ihren unterschiedlichen geologischen Formationen und
Höhenlagen formt jeden Kräutergarten zu einem Unikat. Christine Brunauer hat
die große Lichtung am Spumberg in Adnet mit Kräutergeist erfüllt. Auf der
Zachhofalm in Dientner Hochköniggebiet lädt ein Duftbankerl zum Verweilen ein.
Es erinnert ein wenig an einen alpinen Strandkorb, in dem der wilde Thymian die
frische Prise Bergluft abrundet.
Hexenzauber versprühen die Kräuterfrauen: Auch „das Glück mit dem Pech“ haben
viele von ihnen entdeckt. Auf der Mittelstation in Leogang wird jede Woche eine
Pechsalbe aus Baumharz mit interessierten Gästen gekocht. Diese ist ganz und
gar nicht schwarz und klebrig, sondern fein cremig und mit ihrem wundersamen
Waldduft ein „heilsames“ Erinnerungsstück.