Mit Einsetzen der Schneefälle im November schließt der Wild- und Erlebnispark Ferleiten seine Pforten und Ruhe kehrt ein.
Die Wintersperre nach der Ortschaft Fusch trennt den Talabschnitt sozusagen von der Außenwelt ab. Erst ab Anfang Mai, wenn die Schneeräumung auf der Glocknerstraße abgeschlossen ist, wird der Schranken wieder geöffnet.
Ich habe mich oft gefragt, wie die Tiere im Wildpark diese Wintermonate verbringen und mich zu einem Blick hinter die Kulissen des Wildparks angemeldet. Im Morgengrauen treffe ich den Tierpfleger Christian Reiter an der Wintersperre. Der Schranken signalisiert: Hier geht es nicht weiter. Somit ist das Gebiet ab dem Schranken am Ende des Fuscher-Tals menschenleer. Fast menschenleer, denn Christian hält hier natürlich auch den ganzen Winter über die Stellung, denn Bären, Wölfe, Bison, Luchs, Eule & Co müssen täglich versorgt werden. Nur die Murmeltiere sind seit Oktober im tiefen Winterschlaf. Ralu und Luserl, die Braunbären, sind Jungbären und an den Winterschlaf noch nicht gewohnt. Das wird sich erst mit der Zeit einstellen, dann werden auch sie bis in den März hinein tief schlafen.
Wenn der Berufsjäger und Tierpfleger von „seinen“ Tieren zu erzählen beginnt, liegt ein Lächeln auf seinem Gesicht. Er ist von November bis Mai meist der einzige Zweibeiner, der sich oft mühevoll zu dem Gelände an der Mautstelle der Glocknerstraße durchkämpft. Im Hochwinter ist der Wildpark auch für ihn nur noch mit dem Skidoo erreichbar. Ungefährlich ist die tägliche Anreise für ihn nicht, und aufgrund der vielen Lawinenabgänge auf diesem Straßenabschnitt übernachtet Christian bei starken Schneefällen und hoher Lawinengefahr oftmals im Winterquartier im Wildpark.
Das Tal der Stille
In dieses gemütliche Tierpflegerhaus führt auch unser erster Weg, denn Christian muss vor Arbeitsbeginn noch den Kachelofen einheizen, damit sich die Stube erwärmt. Bei einer dampfenden Tasse Kaffee erzählt der 36-jährige der sich seit 2014 als Tierpfleger um die Tiere in Ferleiten kümmert: „Ich bin in die Fußstapfen meines Vaters Hubert getreten, der fast 20 Jahre hier als Tierpfleger Sommer wie Winter gearbeitet hat. Die Natur und die Tierwelt lagen mir immer schon am Herzen. Früher als Berufsjäger und heute als Tierpfleger. Der Winter hier in Ferleiten ist für mich die schönste, wenn auch eine sehr arbeitsintensive Zeit. Ich genieße die absolute Ruhe und Abgeschiedenheit.“
Auf rund 20 Hektar warten schon 160 in den Alpen beheimatete Tiere auf ihren Fütterer. Schon aus weiter Ferne hören sie den Traktor tuckern und versammeln sich neugierig am Rand ihrer Gehege, während Christian Reiter den Traktor in die Scheune lenkt, in der das Futter lagert. Scheibtruhe um Scheibtruhe wird die Ladeschaufel des Traktors mit Maismixsilage gefüllt. Diese Mischung aus Apfel-Trester und Mais ist rohfaserreich und wird mit Heu für die Wiederkäuer unter den Tierpark-Bewohnern verfüttert. Im Uhrzeigersinn fährt Christian nun jedes Gehege der Schalentiere an: Damwild, Sickawild, Bisons, Rotwild, Mufflons, Alpensteinbock und Gams kommen vertraut heran, wenn Christian vom Traktor kraxelt und eimerweise Futter in die Tröge leert.
Auf „Du und Du“ mit den Wildtieren
„Wo san meine Weibal?“, ruft er in das riesige Rotwildgehege und macht sich ans Reinigen der Futterstelle. Sauberkeit ist das Um und Auf um Krankheiten unter den Tieren zu vermeiden. Schon taucht ein Tier nach dem anderen am Futtertrog auf. Mittendrin ein kapitaler Hirsch, der majestätisch sein Geweih präsentiert. „Bis März trägt er dieses Geweih“, erklärt Hubert, „denn dann wirft er seinen Kopfschmuck ab und schiebt ein neues Geweih, das bis zum Sommer wieder in voller Größe auf seinem Kopf thront.“
Als wir das Bisongehege erreichen, setzt sich die Herde mit lautem Getrampel in Bewegung und folgt Christian bis zur Futterstelle. Aus riesigen, dunklen Augen sieht uns der mächtige Bisonbulle an und für den Moment bin ich doch ganz froh, dass sich zwischen ihm und mir ein Zaun befindet. Christian lacht und meint: „Die Bisons sind ganz friedlich, nur mit dem Bullen sollte man sich nicht anlegen, wenn er einen schlechten Tag hat.“ Während wir uns um Gams, Esel und Mufflon kümmern, frage ich Christian, ob er jedes Gehege betritt, und seine Antwort kommt prompt: „Na klar – nur nicht ins Bärengehege, denn das wäre zu gefährlich! Bei den Wildschweinen ist auch Vorsicht geboten, dem Keiler sollte man nicht den Rücken zudrehen und unser Auerhahn ist manchmal auch ein angriffslustiger Kerl.”
Das Symboltier der Alpen
Von Angriffslust ist beim Steinwild nichts zu spüren, als wir das Gehege betreten. Gemächlich erheben sich die Alpensteinböcke mit ihren imposanten Hornsicheln und nähern sich langsam. Fast wäre dieses, früher so mystifizierte, Symboltier der Alpen ausgestorben, so ist es auch auf der Infotafel vor dem Gehege nachzulesen. Über eine letzte kleine Kolonie im italienischen Gran Paradiso wurde der Steinbock auch wieder in Österreich angesiedelt und mittlerweile gibt es im Glocknergebiet, im Oberpinzgau und in Rauris wieder gesicherte Bestände. Auch die kleine Luchsfamilie, der ihre Fleischration schon bekommen hat und gelassen durch das Areal streift, ist im Pinzgau in den letzten Jahren wieder in freier Wildbahn gesichtet worden. Die beiden Wölfe sehen interessiert von ihrem riesigen Gehege aus zu.
Für die zweite Runde durch den Park wird das Futter gewechselt – Gemüse, Obst, Brot, Körnermischung und Eintagesküken kommen jetzt in die Futtereimer. Liebevoll stellt der Tierpfleger die Nahrung für die einzelnen Tiere zusammen. „Das ist für die drei Waschbären, die Küken kommen zu den Greifvögeln und dieser Eimer ist für Bruder und Schwester“, schmunzelt er und zeigt auf den Durchgang zu den Berberaffen, die schon ungeduldig am Käfiggitter rütteln.
Schon stapft Christian Reiter wieder durch den Schnee, um Fasan, Birk- und Auerwild, Meerschweinchen, Scheehasen, Uhu und Kauz mit ihrer Nahrungs-Ration für diesen Tag zu versorgen. Für jeden seiner Wildpark-Bewohner hat er ein paar nette Worte und prüfend kontrolliert er, ob auch alle bei bester Gesundheit sind. Für all diese Tiere bedarf es natürlich großer Mengen an Futter: Rund 80 Tonnen Heu und Grummet, 50 Tonnen Saftfutter (Maismixsilage, Futterrüben und Karotten) sowie Fleischvorräte für die Wölfe, Bären und Luchse und Obst und Gemüse werden alleine im Winter benötigt. Der Wildpark Ferleiten wurde 1980 von Georg Mayr-Reisch auf einer aufgelassenen Landwirtschaft gegründet und ist nach wie vor in Privatbesitz.
An die Sommerzeit und die deren Besucher denkt Christian Reiter aber nicht. Er schreibt schon an der Einkaufsliste: Heute wird er nach dem Füttern talauswärts fahren, um frische Vorräte zu besorgen. Denn auch morgen, übermorgen und jeden anderen Tag des Winters ist er allein und mit voller Kraft im Einsatz für seine Schützlinge.
Fotos: Wild- und Erlebnispark Ferleiten