Im Rauriser Urwald sagen sich Fuchs und Schneehase „Gute Nacht“. Ihre Spuren entdeckt man bei einer Schneeschuhwanderung – am helllichten Tag.
Gerade haben wir uns an das schlurfende Gehen mit Schneeschuhen gewöhnt, als der Nationalpark-Ranger Stefan unsere kleine Gruppe auch schon wieder stoppt. „Was haben wir denn da?!“, ruft er freudig. Wie ein Willkommensgruß liegt eine kleine Hinterlassenschaft vor uns im Schnee. Gerade so, als hätte jemand von unserem Vorhaben des Spurensuchens gewusst. Denn wir wollen heute erfahren: Welche Tiere leben im Rauriser Urwald auf 1.600 Meter Seehöhe? Wovon ernähren sie sich und wie überleben sie, wenn alles tiefverschneit ist? Vor allem aber: Wer war das?
Unterwegs mit dem Nationalparkranger
Natürlich hat keiner von uns Stadtmenschen eine Antwort auf die Frage. Der Ranger bringt uns auf die richtige Fährte: Da Haare zu erkennen sind, muss es sich um einen Allesfresser handeln. Ein Fuchs? Ein Dachs? Stefan klärt uns auf: „Ein Hermelin, denn nur das kleine Raubtier aus der Familie der Marder hinterlässt eine solche Losung.“ „Ein Hermelin?“, murmle ich erstaunt. „Nie gehört.“
Beglückt von unserem ersten Fund geht es weiter in den tief verschneiten Winterwald. Neben dem Wind in den jahrhundertealten Baumwipfeln hören wir nur das Knirschen der Schneeschuhe und hin und wieder das ferne Donnern eines Schneebretts, das von den Felshängen des Hohen Sonnblicks in die Tiefe saust. Der Ranger lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Besonderheiten des Urwaldes: Hier wachsen bis zu 400 Jahre alte Spitzfichten, die sich mit ihren kurzen, dichten Ästen an die großen Schneemengen angepasst haben. Bartflechten hängen an den Ästen der Baumriesen. „Diese Flechtenart wächst nur an Orten mit besonders hoher Luftqualität“, weiß Stefan.
Birkhuhn, Specht, Schneehase & Fuchs
Obwohl sich kein Lebewesen blicken lässt, sind wir nur scheinbar die Einzigen hier. „Die Tiere suchen das Weite, sobald Menschen in der Nähe sind“, erklärt der Ranger. „Im Winter nutzen sie unsere Fußspuren im Schnee, um Kraft zu sparen.“ Ein Loch in einem Baumstumpf zeugt von einem Specht als Bewohner. Die im Schnee liegenden Schuppen eines Fichtenzapfens deuten darauf hin, dass sich hier ein Birkhuhn gestärkt hat, dessen typische Fährte wir rund um die Futterstelle entdecken. Dass ein Schneehase besonders schnell unterwegs war, erkennen wir daran, dass die breiten Abdrücke seiner Hinterläufe vor den schmäleren der Vorderläufe zu sehen sind. Wovor ist er wohl davongelaufen?
Kurz vor der Gainschnigg-Alm, wo wir Pause machen, um in der Mittagssonne das atemberaubende Bergpanorama zu genießen, erhalten wir eine Antwort auf diese Frage. Eine exakt gezogene, schnurgerade Fährte führt durch den Schnee. Stefan klärt uns auf: „Hier lief bzw. schnürte – wie es in der Fachsprache heißt – ein Fuchs. Vielleicht hat er den Hasen gewittert.“ Bestimmt wollte er ihm hier in der Einsamkeit aus Schnee und Wald einfach nur eine „Gute Nacht“ wünschen. So hoffe ich es zumindest.