Er gilt als der Shooting-Star unter Salzburgs jungen Köchen: Der 37-jährige Vitus Winkler aus St. Veit in Pongau hat sich im Herbst 2019 seine vierte Gault Millau-Haube erkocht. Beinahe zeitgleich erschien sein zweites Kochbuch „Kräuterreich: Geheimnisse der alpinen Küche“. Dieses entführt mit ästhetischer Bildsprache und Rezepten von großer Detailverliebtheit zu einem kulinarischen Spaziergang durch Vitus Winklers Heimat. Zudem weiht es Leserinnen und Leser in die Philosophie und Wesensmerkmale der alpinen Küche ein.
Vitus, du führst gemeinsam mit deiner Ehefrau Eva-Maria den Sonnhof in vierter Generation. War das so geplant?
Mir war sehr früh klar, dass ich gerne koche. Meine Mutter erzählt gerne, dass ich schon als Kleinkind in der Küche am besten geschlafen habe – sie hat mich aufgrund des Zeitmangels und der Mehrfachbelastung einfach auf den Rücken geschnallt. Sowohl mein älterer Bruder als auch ich haben dann eine Hotelfachschule besucht: Mit einem Familienbetrieb wie dem unseren war das naheliegend. Während er aber den Weg in Richtung BWL und Werbung eingeschlagen hat, blieb ich der Gastronomie treu und habe dann auch den Sonnhof übernommen.
Der Wechsel von der alten auf die junge Generation erfolgte im Jahr 2012: Damals warst du 29 Jahre alt, deine Mutter, die ebenfalls Haubenköchin war, 58 Jahre. Ein fliegender Wechsel?
Nicht ganz: Ich war 24 Jahre alt, als ich von meinen Auslandsaufenthalten nach St. Veit zurückgekehrte. Erst war nicht klar, ob ich wirklich bleibe, doch dann habe ich meine spätere Frau kennengelernt. Für meine Mutter waren meine auswärts gesammelten Erfahrungen eine schöne Bereicherung. Sie hatte ja selbst nicht die Möglichkeit, irgendwo anders zu kochen. Also war sie sehr wissbegierig, offen und dankbar für neue Impulse. Ich hingegen habe von ihr die klassische, bodenständige Küche des Pongaus gelernt. Gemeinsam haben wir dann die zweite Haube erkocht.
Deine Heimat, der Pongau, lässt sich auch in deinen Gerichten nicht verleugnen.
Es ist richtig, dass mir das Thema Regionalität sehr am Herzen liegt. Ebenso wie die Themen Nachhaltigkeit und Qualität. Ich kenne alle meine Lieferanten persönlich und achte sehr genau darauf, welche Lebensmittel in meine Küche kommen. Ein guter Koch muss auch ein guter Einkäufer sein.
Was zeichnet deine, mittlerweile mit vier Hauben ausgezeichnete Küche aus?
Ich denke, es sind die Wesensmerkmale Regionalität, Saisonalität, Kreativität und Qualität. Ich selbst habe den Anspruch an mich selbst, heute besser zu sein als gestern – und das jeden einzelnen Tag. Kochen hat viel mit Gefühl zu tun, aber der Hausverstand darf nicht außen vor bleiben. Ich mag die traditionellen Zutaten und Gerichte meiner Heimat, aber auch als guter Koch sollte man alte Rezepte immer wieder überdenken. Angekommen im 21. Jahrhundert haben wir ein völlig anderes Essverhalten als noch vor 70 oder 80 Jahren: Wir wollen nicht zu fett oder zu schwer essen. Auch haben viele Menschen Unverträglichkeiten oder Allergien, auf die es zu reagieren gilt.
Du giltst als Salzburgs Shooting-Star der alpinen Küche. Was ist damit gemeint?
Im Grunde bezeichnet die alpine Küche die Rückbesinnung auf unsere eigenen Wurzeln. Mich interessiert beispielsweise, was die Leute früher gekocht und gegessen haben. Wie haben sie Lebensmittel haltbar gemacht: Beispielsweise durch Selchen oder Fermentieren. Welche Zutaten haben sie auf den Wiesen oder im Wald gesammelt? Wie haben sie ein Lebensmittel verarbeitet, damit nichts weggeworfen werden musste. In meiner Küche etwa wird kaum etwas weggeworfen: Ein Strunk eines Gemüses ist genauso gut wie der Rest. Ich mag die alten, überlieferten Rezepte, auf denen ich in der modernen alpinen Küche aufbauen kann. Aber man sollte niemals einem Rezept vertrauen: Jedes hat das Potenzial, noch besser zu sein. Und das ist mein Anspruch.
Was waren denn die typischen Gerichte deiner Kindheit, die der alpinen Küche zuzuordnen sind?
Als Kind habe ich die hausgemachten Schlutzkrapfen und die faschierten Laibchen von meiner Oma geliebt. Und der Tafelspitz von meiner Mutter war legendär. Als Kinder waren mein Bruder und ich in den Ferien tageweise auf der Alm: Da gab’s dann beispielsweise Kirschmuas. Wer schon einmal bei uns war, weiß, dass es all diese Gerichte auch in unserem Haus gibt: natürlich in meinem Stile neu interpretiert. Aber egal, ob in unserem Gourmetrestaurant oder im Rahmen der Halbpension: Es gibt in unserem Haus ausschließlich Gerichte, die ich selber gerne mag.
Was sagen Gäste dazu, wenn sie weder Steinbutt noch argentinisches Rind auf der Karte finden?
Die wenigsten sind überrascht, denn viele kennen bereits meine Philosophie des Kochens. Wenn jemand nachfragt, erkläre ich aber auch gerne unsere Grundsätze und diese lassen sich sehr einfach zusammenfassen: Ich möchte ausschließlich mit qualitätsvollen, ordentlich verarbeiteten Lebensmitteln aus der Region kochen, die unserem Körper gut tun. Das bedeutet auch manchmal, auf etwas zu verzichten oder kreativ zu werden. So war das früher und so ist das heute in unserem Haus.
Was ist das Spezielle an der alpinen Küche im SalzburgerLand?
Das SalzburgerLand ist – wie der gesamte Alpenraum auch – ein ganz besonderer Mikrokosmos. Mir selbst wurde das erst nach meinen Auslandsaufenthalten so richtig bewusst. Die unterschiedlichen Höhenlagen, die Almen mit der Milchwirtschaft, die Berglandschaft mit ihren Felsen und Kanten – all das spiegelt sich in wirklich coolen Rezepten wider, die interessante Geschichten erzählen. Die echten, bodenständigen Alpengerichte sind sehr spannend, aber als Koch muss man sich auch anstrengen wollen, um daraus etwas richtig Kreatives zu machen. Das ist eine Herausforderung.
Hat Kochen und Essen im Jahr 2020 auch eine politische Komponente?
Ich mag beispielsweise das Wort „Produkt“ nicht so gerne und ziehe das Wort „Lebensmittel“ vor. Denn es zeigt viel besser, worum es geht: Um ein Mittel zum Leben. Im Jahr 2020 ist es mir persönlich ein Anliegen, bei unseren Gästen diese Wertschätzung für Lebensmittel wieder zu wecken und sie dafür zu sensibilisieren, dass alles, was wir essen, eine Wirkung auf unseren Körper hat. Daher ist Qualität das oberste Prinzip. Gute Zutaten, gute Lebensmittel und gute Gerichte können uns positiv in unserer Lebensweise beeinflussen: Sie erden uns und sorgen dafür, dass wir gesund bleiben.
Muss man dazu jeden Trend wie beispielsweise die vegane Ernährung mitmachen?
Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn Menschen in Anbetracht von Massentierhaltung keine Fleischprodukte oder Lebensmittel tierischer Herkunft zu sich nehmen möchten. Ich würde so ein Fleisch ebenfalls nicht essen wollen. Die neue Lust auf Gemüse finde ich gut, aber viele Veganer wissen nicht, wie sie sich wirklich vollwertig und gesund ernähren können, ohne Mangelerscheinungen zu entwickeln. Auch in der alpinen Küche sollte man überlieferte Rezepte überdenken: Oft kann beispielsweise Kuhmilch einfach durch Wasser oder Hafermilch ersetzt werden. Wie gesagt: Essen im 21. Jahrhundert muss den Ernährungsgewohnheiten entsprechen.
Gibt es ein oder mehrere Lebensmittel, für die du dich besonders begeisterst?
Mein Favorit aktuell sind Kräuter, die auch im Mittelpunkt meines 2019 erschienen Buches stehen. Wir verarbeiten in unserer Küche über hundert verschiedene Garten- und Wildkräuter: Allesamt werden von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und von mir selbst gepflückt. So verbinden wir Arbeit mit dem wohltuenden Aufenthalt draußen in der Natur, im Garten und im Wald. In dem Buch ist jedem Gericht ein Kraut zugeordnet: Auch hier fasziniert mich nicht allein der Geschmack, sondern die Wirkweisen der Kräuter auf unseren Körper. Hier gibt es noch viel zu entdecken und auszuprobieren. Die Liebe zu den Kräutern hat aber auch mit meiner eigenen, lebenslangen Naturverbundenheit zu tun: Für mich gibt es kaum etwas Schöneres, als draußen in der Natur zu sein – die Geräusche, Gerüche und Jahreszeiten zu erleben.
Mit welchen Gefühlen oder in welcher Stimmung sollen Gäste dein Restaurant verlassen?
Zum einen sollen sie natürlich ein wirklich gutes und feines Geschmackserlebnis erfahren. Mein Anspruch ist aber noch etwas höher, denn ich denke, dass wir Köche auch Denkanstöße geben können. Ich möchte jeden Tag ein bisschen Veränderung bewirken und sei es nur, dass Menschen wieder ein Gefühl für Lebensmittel und deren Wert bekommen. Es wäre schön, wenn ein Besuch bei uns auch ein Umdenken oder eine Veränderung bei unseren Gästen bewirken würde, etwa im Hinblick auf Qualität, Tierwohl oder Regionalität.
Wer bei euch isst, kann auch in eurem Genießer- und Verwöhnhotel Sonnhof übernachten. Deine Liebe zur Natur spiegelt sich auch in den neuen Zimmern wider?
Ähnlich wie im Kochbuch haben wir nun auch die Zimmer den Höhenlagen hier im Pongau zugeordnet: Mehr als 300 Bilder, die im Rahmen der Kochbuchproduktion entstanden sind, finden sich im ganzen Hotel. Typische Farben und Materialien wie Holz oder getrocknete Kräuter sind sowohl Teil der Zimmereinrichtung als auch des neuen Wellnessbereichs, der Ende Mai 2020 eröffnet wird.
Hotel Sonnhof
Vitus Winkler
Kirchweg 2
5621 Sankt Veit im Pongau
sonnhof@verwoehnhotel.at
www.verwoehnhotel.at
T +43 6415 4323