Stefan Zweig war Dichter, Schriftsteller, Literat und einer der größten und tiefsinnigsten Künstler, die das frühe 20. Jahrhundert in all seinen Wirren hervor gebracht hat. Und außerdem war er zumindest 15 Jahre seines Lebens Salzburger, wohnte hoch über den Dächern der Stadt in einem Schloss am Kapuzinerberg. Grund genug, um mich wieder einmal aufzumachen, um der Stadt und einem ihrer großen Bewohner einen Blick in die Vergangenheit zu widmen, mich auf Spurensuche zu begeben…
Es gibt Tage, da sieht man die Dinge einfach anders. Banale Dinge, wie das eigene Bett, den Schreibtisch, ja vielleicht sogar den Baum im Park, an dem man fast täglich vorbeispaziert und der sich nüchtern betrachtet schon mehrere Jahrzehnte nicht mehr grob bewegt haben könnte. Hat sich das Licht verändert, liegt einem etwas im Magen, ist man in Eile, oder sieht man dann und wann einmal schlicht und ergreifend so genau nicht hin? Oft weiß man es auch gar nicht, macht meistens ja auch nichts! Manchmal aber sieht man plötzlich die ganze Welt, das eigene Leben und all die Menschen anders als noch am Tag zuvor. Als gestern. Das sind die Tage, an denen so ziemlich alles aus den Fugen gerät, oft nichts mehr so sein wird, wie es gerade eben noch war. So in etwa muss es Stefan Zweig ergangen sein, als er sein berühmtes Buch ‚Die Welt von gestern‘ im Brasilianischen Exil geschrieben und dabei wehmütig auf sein ‚altes‘, für immer vergangenes Leben im Europa der ersten Hälfte des 20. Jahrhundert geblickt hatte. Auf die Tage in Wien, Berlin, dann in der Schweiz und schließlich auf das Leben in Salzburg. Den Blick herunter vom Kapuzinerberg auf die Salzach, die langen Spaziergänge und die vielen Stunden in seinem Schreibzimmer, in dem er einen großen Teil seines Lebenswerkes verfasste.
Doch welche Spuren hat dieser große Dichter, dieser Ausnahme-Literat, hier hinterlassen? Welche ‚Zweig-Stellen‘ findet man heute noch?
Was ich fand? Spuren der Zeit, in einer Stadt, meiner Stadt, die sich mir wieder einmal von einer völlig neuen Seite zeigte. Unbedingt zum Nachahmen gedacht!
Das Paschinger Schlössl
„Am Tage, da ich meinen Pass verlor, entdeckte ich mit achtundfünfzig Jahren, dass man mit seiner Heimat mehr verliert als einen Fleck umgrenzter Erde.“
Beginnen tut die Spurensuche, wie könnte es auch anders sein, auf dem Kapuzinerberg. Genauer gesagt beim Paschinger Schlössl. Ein guter Platz, um dort im Schatten der mächtigen Bäume ein bisschen zu verweilen und nach dem anstrengenden Aufstieg über die Imbergstiege ein wenig durchzuschnaufen. Als Stefan Zweig das alte Schlössl gegenüber dem Kapuzinerkloster im Jahr 1917 zum ersten Mal erblickte, machte es wohl keinen allzu guten Eindruck. Trotzdem kaufte er es gemeinsam mit seiner Frau Friderike, investierte jede Menge in den Umbau, ließ elektrische Leitungen und eine Heizung verlegen und verbrachte schließlich gemeinsam mit ihr und deren zwei Töchtern 15 wunderbare Jahre hoch über den Dächern der Stadt. Hier war Zweig äußerst produktiv, verfasste viele seiner Werke. Laut der Erinnerung seiner Frau mochten es wohl gut und gern 200.000 Seiten Manuskript gewesen sein. Das Schloss war für Zweig immer ein Ort der Begegnung, der Gespräche und des gemeinsamen Lachens. Kaum vergingen Tage, ohne Besuch in den alten Gemäuern und so war auch Hugo von Hofmannsthal, der Salzburg für immer seinen Jedermann hinterlassen sollte, ein gerne und oft gesehener Gast. 1934, ein Jahr nach der Machtübernahme Hitlers, wurde es den Zweigs allmählich zu unsicher, sie verließen ihr geliebtes Schloss und flohen nach England und von dort schließlich in die USA und Brasilien. Ein Teil des Weges auf den Mönchsberg nennt sich heute ‚Stefan-Zweig-Weg‘.
Die ‚Stefan Zweig Büste‘
„Als meinen einzig sicheren Besitz empfinde ich das Gefühl der inneren Freiheit.“
Unmittelbar gegenüber dem Schloss, blicke ich plötzlich in die strengen, interessierten Augen des Schriftstellers. Die Stefan Zweig Büste von Josef Zenzmaier wurde hier 1983 aufgestellt und blick wachend auf das verlorene Heim und die Stadt.
Stolperstein des Stefan Zweig
„Wie wenige Menschen, auch die tapfersten, haben jemals den Mut, klar einzugestehen, ihre Anschauung von gestern sei Irrtum und Unsinn gewesen.“
Auf meinem Weg nach unten und zurück in die Stadt, fällt mir plötzlich ein goldener Stein im Boden auf. Ein Stolperstein, mit dem Namen Zweigs darauf verewigt, der für immer an das Unrecht erinnern soll, das diesen Menschen vor und während des Zweiten Weltkrieges widerfahren war.
„Schach ist wie die Liebe, allein macht es weniger Spaß.“
Unten an der Salzach lasse ich mich im kleinen, jedoch äußerst feinen Gastgarten des Café Bazars nieder und gönne mir einen herrlich duftenden Espresso. Hier saßen sie also, die Großen der Salzburger Kultur. Politisierten, spielten Schach, stritten sich, um sich danach auch gleich wieder zu versöhnen. Hugo von Hofmannsthal, Max Reinhardt und eben Stefan Zweig verbrachten viele Stunden Im Café und machten aus dem Bazar erst das, was es heute immer noch ist: ein Kaffeehaus mit Kult-Status!
Das Stefan Zweig Center Salzburg
„Wozu lebt man, wenn der Wind hinter unserm Schuh schon die letzte Spur von uns wegträgt?“
In der Stadt herrscht das blühende Leben, Menschen aus aller Herren Länder spazieren lachend und fotografierend durch die engen Gassen, blicken staunend zur Festung hoch, oder genießen am Ufer der Salzach die warmen Sonnenstrahlen. Dafür habe ich heute kein Auge, hier gehöre ich heute nicht dazu. Mein nächstes Ziel liegt auf dem Mönchsberg, wo sich seit einigen Jahren ein Zentrum in der Edmundsburg befindet, das dem Schriftsteller gewidmet ist.
Auch wenn Stefan Zweig einige seiner entscheidendsten Jahre hier in Salzburg verbrachte, einige seiner größten Werke, wie die historischen Miniaturen „Sternstunden der Menschheit“, die beiden Erzählbände „Amok“ und „Verwirrung der Gefühle“, die Biographien über Joseph Fouché und Maria Antoinette, auch Essay-Bände und sogar Theaterstücke, hier verfasste, wurde ihm lange nicht die Aufmerksamkeit und Ehre zuteil, die ein Künstler dieses Formats verdient gehabt hätte. Bis zum Jahr 2008, als das Stefan Zweig Center auf dem Mönchsberg eröffnet wurde. In den Räumen der „Edmundsburg“, einem Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, welches am Mönchsberg über der Felsenreitschule gelegen ist, gibt es seither eine Ausstellung zu sehen, die Leben und Werk des österreichischen Schriftstellers dokumentiert. Im „Europasaal“ werden das ganze Jahr über zahlreiche Veranstaltungen (Lesungen, Vorträge, Diskussionen, Literaturwissenschaftliche Konferenzen zur europäischen Literatur- und Kulturgeschichte, zu Fragen von Wissenschaft und Kunst) abgehalten.
Tief beeindruckt und bewegt begebe ich mich nach dem Besuch im Zentrum wieder hinab in die Altstadt. Ein Zitat von Stefan Zweig hat sich besonders fest in mir eingeprägt:
„Das Außerordentliche ist das Maß aller Größe.“
Große Worte, von einem großen Menschen!
Übrigens, seit dem 27. November 2014 führt die Pädagogische Hochschule Salzburg den Namen Stefan Zweigs.
©Titelbild: Salzburg Museum