Der Wagner wird gerne als Mechaniker des Mittelalters bezeichnet. Aber was macht er dann heute? Christian Lassacher, der einzige Wagnermeister im Land, repariert nach wie vor alte Kutschenräder und Fahrzeuge, die schon mehr als 100 Jahre auf der Holzkarosserie haben. Freilich sind diese Aufträge Mangelware, weshalb er sich mittlerweile voller Leidenschaft einem Bereich widmet, der ebenso das geballte Fachwissen eines gelernten Wagners erfordert: dem Schlittenbau.
Leidenschaft Holz
Unweit des Marktplatzes in Tamsweg befindet sich die Wagnerei Lassacher samt zugehörigem Shop. So prangt es auch auf einem Schild vor dem Eingang, doch wenn man die Tür zur Wagnerei öffnet und von herrlichem Zirbenduft empfangen wird, weiß man auch so: hier ist man richtig.
Regal für Regal buhlen Produkte aus Holz – vorwiegend Zirbenholz – um Aufmerksamkeit: Schüsseln, Brotdosen, Brettspiele, Bierkrüge, Vorratsdosen, robustes Holzspielzeug und vieles mehr. Die originellen und nachhaltigen Holzprodukte sind als Geschenke sehr gefragt. Für Geburtstage und Geburten, für Hochzeiten und Jubiläen. Oder einfach für sich selbst.
Schon der erste Eindruck vermittelt: Hier ist jemand am Werk, der sich voll und ganz dem Holz verschrieben hat. Dabei sind die Shopartikel für Christian Lassacher nur ein zweites Standbein, damit er weiterhin seiner Leidenschaft für klassische Wagnerarbeiten nachgehen kann. Denn wofür dieses selten gewordene Handwerk steht, das zeigt ein Blick in die Werkstatt – und auf die Geschichte der Wagnerei.
Der Wagner von damals
Was heute ein Mechaniker ist, war früher der Wagner. Über Jahrhunderte fertigte dieser Fahrzeuge für die Beförderung von Personen und Güter. Dazu zählten Handwagen, Kutschen, Anhänger, landwirtschaftliche Geräte und Werkzeuge vom Pflug bis zur Heugabel.
Die Wagnerei Lassacher befindet sich seit 1918 auf dem Standort in Tamsweg im Lungau, die Wurzeln führen aber noch weiter zurück ins heutige Südtirol. Die Vorfahren von Christian Lassacher waren bis Mitte des Jahrhunderts in allen Belangen rund um das Fahrzeug aus Holz sehr gefragt. Auch die Skiproduktion lag bis weit ins 20. Jahrhundert hinein in den Händen der Wagner. Seit die Autos aber nicht mehr aus Holz, sondern aus Blech und Gummi bestehen und die ursprüngliche Skiherstellung der Massenproduktion gewichen ist, gilt der Wagner als aussterbender Beruf.
Umso faszinierender, dass Christian Lassacher, einer von nur wenigen Wagnermeistern in ganz Österreich, dieses traditionsreiche Handwerk ins 21. Jahrhundert retten konnte.
Der Wagner ist auch im 21. Jahrhundert noch gefragt
Gibt es denn tatsächlich noch jemanden, der heutzutage die solide Arbeit eines Wagners benötigt? Mit dieser Frage treffe ich wohl mitten ins Wagnerherz, denn Christian Lassacher beginnt breit zu grinsen und erinnert sich glasklar an ein ganz besonderes Projekt: „Vor wenigen Jahren durfte ich einen Buick reparieren, einen Sanitäterwagen aus dem Ersten Weltkrieg. Davon gibt es in ganz Österreich nur noch fünf, drei davon im Museum und zwei, die sogar noch fahren. Einer hatte nach einem Unfall einen Achter und wurde mir zur Reparatur anvertraut.“ Dank Christians fachmännischem Einsatz durften sich Buick und Besitzer noch über weitere fahrtaugliche Jahre freuen.
Der Bau eines Heuwagens für ein Hotel, ein originalgetreu nachgemachter Einachs-Transportwagen für die Burg Mauterndorf und die Reparatur eines alten Feuerwehrfahrzeugs zählen zu den weiteren Werkstattstunden, die der Wagnermeister für immer in glücklicher Erinnerung behalten wird.
Die größte Wertschätzung für sein Tun erfuhr er aber auf eine sehr rührende Weise: „Ein Angehöriger einer Familie in Oberösterreich war verstorben. Der Verstorbene war Wagner, wir kannten einander nicht. Er hatte mich einzig in einem Fernsehbericht gesehen und mir seine gesamten alten Pläne von Karosserieaufbauten vermacht. Mit dabei waren etwa Pläne von einem Lastwagen und einem Leichenwagen. Das hat mich sehr bewegt, und enorm angespornt, meiner Linie treu zu bleiben.“
Und diese Linie führt trotz notwendiger Flexibilität und einer Erweiterung des Angebots immer wieder zum traditionellen Wagner-Handwerk. Denn wenn nicht gerade ein Auftrag für die Reparatur eines alten Kutschenrads hereintrudelt, nutzt Christian seine Fachkenntnisse für den Bau von Schlitten.
Ein echter Lassacher-Schlitten
Einen Winter lang rodelte Christian Lassacher immer und immer wieder den Hang hinunter. Was nach einem riesigen Vergnügen klingt, waren für ihn jedoch wertvolle Arbeitsstunden. Denn insgesamt über ein Jahr, dutzende Prototypen und noch mehr Probeläufe hat es gedauert, bis der perfekte Lassacher-Schlitten seine Geburtsstunde erlebte.
Der Schlitten ist ein typisches Produkt, bei dem der Wagner seine Kernkompetenz ausspielen kann: das Biegen von Holz. Grundmaterial ist die Esche, da sich diese gut biegen lässt. Generell ist es wichtig, beim sensiblen Biegevorgang auf das Material mit dem optimalen Zellaufbau zu setzen und die richtige Temperatur zu erwischen, da das Holz sonst reißt. Einer von vielen Aspekten, auf die bei der industriellen Schlittenproduktion leider nur selten geachtet wird. Christian Lassacher: „Ich finde es schade, dass bei der Massenproduktion so viel Wissen verloren geht. Deshalb ist es mir ein großes Anliegen, dass unser Beruf wieder auflebt.“
Der komplette Schlitten wird von A bis Z von der Wagnerei Lassacher gefertigt. Das hat den Vorteil, dass auch Kundenwünsche berücksichtigt werden können, etwa bei der Wahl der Farbe für den Bezug. Die Hauptsaison für den Schlittenverkauf ist von Oktober bis Dezember, doch auch im Frühling oder Sommer verlässt der eine oder andere handgemachte Schlitten die Wagnerei, sehr gerne als Geschenk zum Geburtstag oder zur Hochzeit. Christian Lassacher tüftelt unterdessen längst weiter, denn in seinem Kopf sammeln sich schon Ideen für einen Lenkschlitten. Oder etwas noch Revolutionäreres.
Der Beruf des Wagners darf weiterleben
Schon früh wurde der Wagnermeister von seinem Vater ins Handwerk eingeführt. Dabei gab es natürlich Ausnahmen: „Als Kind bin ich schon mal auf allen Vieren vor dem Werkstattfenster vorbeigekrochen, damit mich mein Vater ja nicht reinholt. Manchmal wollte ich halt doch lieber zum Spielplatz“, gibt Christian Lassacher schmunzelnd zu. „Doch heute kann ich mit Stolz behaupten, dass ich in den Beruf so sehr hineingewachsen bin und mir gar nichts anderes mehr vorstellen kann.“
Wie sehr er sich für die Zukunft des Handwerks einsetzt, zeigt das jüngste Beispiel seines Lehrlings. Dieser wollte statt der Tischlerlehre – wie sie die Wagnerei Lassacher ebenso anbietet – unbedingt eine Lehre als Wagner absolvieren. In der Berufsschule Kremsmünster fehlte dazu allerdings die Praxismöglichkeit. Schließlich übernahm Christian Lassacher in Abstimmung mit der Berufsschule diesen Part selbst. „Es ist sehr viel Aufwand, diese Lehreinheiten zusätzlich unterzubringen, aber es ist mir einfach enorm wichtig, dieses wertvolle Handwerk weiterzutragen“, gesteht Christian offen. Mit der bestandenen Gesellenprüfung seines einstigen Lehrlings ist dieser Wunsch schon ein kleines bisschen in Erfüllung gegangen. Weitere Lehrlinge haben bereits ihr Interesse bekundet. Und dann wären da auch noch sein Sohn und seine Tochter, die sich manchmal lieber in der Werkstatt als in Kindergarten und Schule aufhalten würden sowie Lebensgefährtin Simone, die selber gerne zur Drechselbank schreitet, wenn gerade Not am Mann ist …