Dass ein Tal mit dem klingenden Namen Nassfeld nicht gerade durch wüstenähnliche Trockenheit seinem Namen alle Ehre machen würde, das dachte ich mir schon bei meiner Anreise ins schöne Gasteinertal. Trotzdem staunte ich nicht schlecht, als ich oben in Sportgastein die ersten Blicke auf dieses wunderschöne Fleckchen Erde warf und vor mir unzählige Bäche und Wasserfälle in der Sonne um die Wette funkelten. Ja, richtig gehört, Wasserfälle. Denn das Nassfeld ist nicht nur als der schönste Talschluss im Nationalpark Hohe Tauern bekannt, sondern ist auch ein Paradies für all jene, die dem fallenden Wasser stundenlang zusehen können. So wie ich. Und so kann man sich wahrscheinlich vorstellen, wie sehr ich mich auf diesen Tag gefreut habe. Doch bevor ich meine Wanderschuhe anziehe und losmarschiere, ziehen erst einmal zwei Kühe auf der Weide direkt hinter dem Parkplatz meine Aufmerksamkeit auf sich. Offensichtlich schmeckt ihnen das Gras hier, denn sie blicken nicht einmal hoch und scheinen überhaupt nichts zu bemerken. „Fresst nur weiter, ich geh dann mal wieder!“ Viele Gasteiner Bauern bringen ihr Vieh den Sommer über herauf auf die Almen des Hochplateaus und so sind friedlich schmatzende Rinder hier ein gewohnter Anblick. Doch nicht nur die Tiere scheinen sich rundum wohl zu fühlen. Wanderer genießen ihren Marsch auf den sich durch das Tal windenden Wegen, springen über kleine Rinnsale und blicken immer wieder hinauf zu den imposanten Gipfeln der Berge ringsum.
Rundwanderung durch das Nassfeld
Ein Blick auf meine Wanderkarte zeigt mir, dass es zahlreiche Wanderungen gibt und man über das Nassfeld auch viele höhergelegene Hütten und Gipfel erreichen kann. Ich habe mich erstmal für die ‚Rundwanderung Nassfeld’ entschieden. Ca. drei Stunden soll man hier unterwegs sein, viele Wasserfälle bestaunen und das Tal in seiner ganzen Schönheit entdecken können. Genau richtig für meinen Vormittag, denn zu Mittag soll ich ja hier am Parkplatz einen echten Ranger treffen, der mich mit hinauf in die Berge nehmen wird. Doch davon ein bisschen später mehr. Für mich geht es jetzt einmal hinein ins Tal. Immer wieder komme ich an schmucken Almhütten vorbei, tratsche ein wenig mit den Sennern und Bauern und staune über die schlichte Schönheit, die am Wegesrand auf mich zu warten scheint. Virtuos und scheinbar ohne Mühen umspielt das rauschende Wasser der Bäche die im Lauf liegenden Steine und Felsen, die Blüten der alpinen Blumen strecken ihre Hälse der immer wärmer strahlenden Sonne entgegen und das Gras wiegt langsam in der leichten Brise des Windes hin und her. Ich muss fast lachen über mich selbst, denn immer wieder bleibe ich stehen, mache hier ein Bild, da ein kurzes Video und kann mich einfach nicht satt sehen an den kleinen und großen Dingen. Jeder, der schon einmal hier war, wird sicherlich wissen, wovon ich spreche. Die herrliche ausgedehnte Wanderung führt mich durch den wunderschönen Talboden, am Naturlehrpfad erkenne ich, dass es noch so viel zu lernen und wissen gäbe, und an den Wasserfällen finde ich immer wieder einen Stein, auf dem ich mich niederlasse, um das Naturschauspiel zu genießen. Verschiedenste Almen laden zur Einkehr ein und nur schwer kann ich mich dem herrlichen Duft aus den Küchen widersetzen. Wie gemütlich wäre es wohl, hier eine Pause zu machen. Doch die Mittagsstunde naht gnadenlos. Ich muss zurück, werde erwartet.
Ein echter Nationalpark Ranger
Zurück in der ‚Zivilisation’ kommt mir schon winkend Hans Naglmayr entgegen, mein heutiger Guide in die Bergwelt über dem Nassfeld. Genauso stelle ich mir einen waschechten ‚Nationalpark Ranger’ vor. Von der Sonne gebräunte Haut, breites Lachen im Gesicht, dazu ein Hut und ein zutiefst zufriedener Blick. Ein Original. Zu meiner eigenen Schande muss ich gestehen, dass ich bis vor wenigen Tagen nicht einmal wusste, dass es im Nationalpark Hohe Tauern Ranger gibt, die die Natur den Gästen näher bringen, mit ihnen in den Park eintauchen und sich um die Flora und Fauna kümmern. Doch jetzt stehe ich hier mit einem dieser Ranger und bin gespannt wie ein Bogen, wie sich dieser Tag noch entwickeln möge. Während ich so dahinsinniere und sich mein Blick in der mittäglichen Bergwelt um mich verliert, bekomme ich gar nicht mit, wie ‚der Hans’ sein Fernrohr aufstellt und nach oben richtet. „Da sind sie, eine ganze Gruppe!“, reißt er mich aus meinen Gedanken und deutet scheinbar ziellos in luftige Höhen. „Mindestens sieben Steinböcke, gerade am Fressen.“ Ein bisschen irritiert mache ich einen Schritt auf das Fernglas zu und blicke durch. Und tatsächlich, einige Steinböcke unterhalb eines großen Felsens, grasend und nichts ahnend, dass sie von hunderten von Höhenmetern tiefer gerade beobachtet werden. „Schau her, dort hinauf geht’s jetzt. Zum unteren und zum oberen Bockhartsee.“ Alles klar, dann los!
Hinauf zu den Bockhartseen
Am relativ steilen Weg hinauf zum ersten See erzählt Hans ein bisschen aus seinem Leben. Der Nationalpark Hohe Tauern, übrigens der größte Österreichs und der Alpen, wurde 1981 gegründet, ist überall und für jeden völlig frei zugänglich und erstreckt sich über alpine Teile des SalzburgerLandes, Kärntens und Tirols. In ihm findet man ausgedehnte Gletscherfelder, Täler aus der letzten Eiszeit (die Spuren davon zeigt mir Hans immer wieder), wunderschöne Talschlüsse, wuchtige Schwemm- und Murenkegel, alpine Strauchheiden, sowie ausgedehnte Lärchen-, Fichten und Zirbenwälder. Das Wissen dieses Mannes über die Natur, die Berge und die Tiere hier ist unvorstellbar und so höre ich fast den ganzen Aufstieg einfach nur staunend zu. Immer wieder zückt der Ranger sein Messer, gräbt etwas aus und gibt es mir. „Hier, kau auf dieser Wurzel, dann hast du sicherlich keinen Durst heute“. Äh, wie bitte? Ein Wahnsinn!
Nach ca. einer halben Stunde Aufstieg kommt der untere Bockhartsee in Sicht und unsere Wanderung ändert sich schlagartig. Ging es bisher bergauf und wir kamen ein bisschen ins Schwitzen, wandern wir nun entspannt oberhalb des Ufers entlang und erfreuen uns am herrlichen Spiegelbild der umliegenden Gipfel im sich leicht kräuselnden Wasser. Am Anfang des Sees wäre eine Almhütte zum Einkehren gewesen, doch wir sind beide noch nicht hungrig und so haben wir nur kurz unsere Wasserflaschen aufgefüllt und weiter ging’s. Gebraucht hätten wir sie nicht, denn immer wieder kommen wir an Quellen vorbei, die mit ihrem herrlichen Wasser zum Durstlöschen einladen. Als könnte er meine Frage vorausahnen, erklärt mir der Hans, dass man hier oben ohne Bedenken das Wasser trinken könne. Wie toll ist es, dass wir hier so unbeschwert leben und ohne Gedanken den Mund aufmachen und uns frisches Quellwasser schmecken lassen können. Was für ein Schatz unserer herrlichen Alpen!
Schuhe – brauchen wir hier nicht!
Am Ende des Sees geht es dann einen Bach entlang nach oben zum oberen See. Immer wieder passieren wir rauschende Wasserfälle, einer schöner und eindrucksvoller als der andere, bestaunen die Spuren, die der Bergbau einer längst vergangenen Zeit hier oben hinterlassen hat, und springen wie die jungen Gämsen von Stein zu Stein. Als der obere Bockhartsee, übrigens viel kleiner, jedoch nicht weniger schön als der untere, in Sicht kommt, heißt es plötzlich „Schuhe aus. Von jetzt an gehen wir barfuß!“. Wie bitte? Durch die Erlebnisse der letzten Stunden habe ich schon eines gelernt – dem Hans braucht man nicht widersprechen, dem kann man einfach blind vertrauen hier in ‚seinen’ Bergen. Also dann. Raus aus den Schuhen, den Socken und schon geht’s barfuß durch die Wiese. Was ist das für ein unglaubliches Gefühl, bitte sehr? Ich spüre jeden Grashalm, die weichen Moose fühlen sich herrlich an und auf den runden Steinen hat sich die Wärme der Sonne gespeichert. Warum habe ich so etwas eigentlich noch nie gemacht? Kurz vor dem See wird es dann auch noch moorig und wir waten durch das knietiefe Wasser unserem Ziel entgegen. Schlicht und ergreifend wunderschön. Am See setzen wir uns gemütlich auf einen Stein, trinken dann doch ein paar Schluck aus unseren Flaschen und genießen die Einsamkeit und Idylle hier. Weit über uns, ca. eine Stunde Marsch entfernt, sehen wir das Niedersachsenhaus zwischen zwei Gipfeln liegen. Von dort oben kann man dann ins Raurisertal hinüber. Eine Tour, die ich unbedingt auch bald einmal machen möchte.
Wieder zurück in Sportgastein kann ich dem Hans gar nicht genug für dieses Abenteuer danken. Genüsslich lassen wir uns ein wohlverdientes Rindsragout im Valeriehaus (benannt nach der jüngsten Tochter des Kaiserpaares Franz Josef und Elisabeth beim Bau 1889) schmecken und stoßen auf einen tollen Tag und viele wertvolle Erlebnisse an. Erlebnisse, die ich jedem nur empfehlen kann. Mit den Rangern im Nationalpark Hohe Tauern kann man die Berge auf eine Art und Weise erleben und entdecken, die einem sonst sicherlich verborgen bliebe.