(c) Privatarchiv Martin Reiter, Rainerfamily1839 New-York

Verbreitung

Die weltumspannende Reise von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“

Nun mehr als zweihundert Jahre, nachdem „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ das erste Mal in Oberndorf erklang, gilt es als eines der beliebtesten und bekanntesten Weihnachtslieder – aufgenommen und interpretiert von allen Musikgrößen aus allen Genres.

An Weihnachten wird es von rund zwei Milliarden Menschen weltweit gesungen: Auf allen Kontinenten und in über 300 Sprachen und Dialekten. Nicht nur die Entstehung, auch die Verbreitung gleicht einem Wunder. Oder um es mit Victor Hugos (1802 – 1885) Worten zu sagen: „Nichts ist stärker als eine Idee, deren Zeit gekommen ist.“ Die Welt war wohl bereit für dieses Lied.

24.12.1818, Oberndorf bei Salzburg: Geburtsstunde des Liedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“, vorgetragen von seinen Schöpfern Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber.

1818/19 und 1823/24, Oberndorf/Fügen: Der Orgelbauer Carl Mauracher aus Fügen im Zillertal erhält den Auftrag, die Orgel in der St. Nikola-Kirche in Oberndorf zu reparieren. In weiterer Folge wird die Orgel neu gebaut. Auf einer dieser Arbeitsreisen lernt er das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ kennen und bringt es mit in seine Heimat.

1819, Waidring: Das Lied findet sich mit sieben (!) Strophen auch im heute verschollenen Kirchenliederbuch von Blasius Wimmer, Organist und Lehrer in Waidring. Es kann gut möglich sein, dass Carl Mauracher das Lied bei seinen „Reparaturreisen“ an ihn weitergegeben hat.

Dezember 1822, Fügen: Im Schloss des Grafen Dönhoff sind Kaiser Franz I. von Österreich und Zar Alexander I. von Russland zu Gast. Der Graf bittet die Geschwister Rainer darum, seine Gäste mit Volksliedern zu unterhalten. Vor allem der Zar ist begeistert: Er spricht eine Einladung an seinen Hof in St. Petersburg aus.

Herbst 1824, Fügen: Die Geschwister Rainer machen sich auf zu ihrer ersten Auslandsreise nach Deutschland. Sie begründen damit die Ära der „Tiroler Nationalsänger“.

November 1825, Fügen: Die Geschwister Rainer („Ur-Rainer“) brechen zu ihrer zweiten Konzerttour auf. Diese führte sie über Deutschland (Berlin, Hamburg) nach Schweden und England (London). Da der Zar bereits im Dezember 1825 verstarb, änderten sie ihre Reiseroute. Bis 1838 tourten die „Ur-Rainer“ immer wieder durch Europa.

1827 – 1832, Steyr: Joseph Greis, Buchdrucker und Buchhändler in Steyr, gab im Zeitraum von 1827 bis 1832 (genaues Datum nicht bekannt) eine Flugschrift mit dem Titel „Vier schöne neue Weihnachtslieder“ heraus: Auf deren Titelbild ist auch „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ angekündigt. Damit ist bewiesen, dass die erste schriftliche Verbreitung des Liedes in Steyr gedruckt wurde. Da Greis Buchhändler war, konnte der Druck auch bei ihm gekauft werden.

Dezember 1831, Hippach/Leipzig: Die Geschwister Strasser aus Laimach bei Hippach singen „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt. Die Bauernfamilie aus dem Zillertal zog während der Wintermonate als Warenhändler durch Europa, um handgefertigte Produkte aus der Heimat – vor allem Handschuhe – auf Märkten zu verkaufen. Schnell stellte sich heraus, dass der Verkauf durch das Singen von Volksliedern noch besser lief.

1832 – 1834, Leipzig: Die Geschwister Strasser wurden zu weiteren Auftritten nach Leipzig eingeladen. Daraufhin kam es auch zu einer Verschriftlichung von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“: Zwischen 1832 und 1834 veröffentlichte der Verleger A. R. Friese aus Dresden eine Sammlung von echten Tiroler Weihnachtsliedern mit dem Titel „Vier ächte Tyroler Lieder für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte und der Gitarre gesungen von den Geschwister Strasser aus dem Zillerthale“. Es entsteht eine „Zillertaler Fassung“ des Liedes, die auf die Geschwister Strasser zurückgehen könnte.

1834/1835, Berlin: Konzerttournee der Geschwister Strasser durch Deutschland mit Aufenthalt in Berlin. Das Weihnachtslied beeindruckt auch den preussischen König Friedrich Wilhelm IV., der Jahre später sogar die Noten dafür in Salzburg anfordern wird.

1838, Leipzig: Aufnahme des Liedes „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ in das Melodienbuch des „Katholischen Gesang- und Gebetbuch für den öffentlichen und häuslichen Gottesdienst zunächst zum Gebrauche der katholischen Gemeinde im Königreiche Sachsen“.

1839, New York: Die zweite Generation von Rainer-Sängern – unter der Ägide von Ludwig Rainer, Sohn von Maria Rainer – aus dem Zillertal brechen zu einer Konzerttour nach Amerika auf: Es wird angenommen, dass sie das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ mit in ihrem Repertoire haben. Die erste Aufführung des Liedes findet vermutlich vor der Trinity Church in New York statt. Es folgt eine mehrjährige „Tournee“ als viel beachtete „Rainer Family“, die die vier Sänger und Sängerinnen nach New Orleans, St. Louis, Pittsburg und Philadelphia führt.

1840, New York: Im März 2018 fand Stille Nacht Forscher Martin Reiter den ältesten Druck von Stille Nacht außerhalb Europas, gedruckt 1840 in New York. Das Lied findet sich nur mit Text und ohne Noten als Nummer 22 im „Liederbuch für die Jugend. Nebst einem Anhange von Melodieen.“, das 1840 in „Neu York“ von der in der Nassau-Straße 150 angesiedelten „Amerikanischen Tractat Gesellschaft“ herausgegeben wurde. Reiter: „An dieser Stelle steht heute noch das Traktat-Gebäude.“ Stille Nacht umfasst in diesem frühen Werk nur drei Strophen, die jedoch gegenüber dem Original stark verändert wurden.

1842, Boston: „Silent Night, Holy Night“ erscheint in einem Liederbuch der „Rainer Family“.

Mai 1843, Zillertal: Die „Rainer Family“ kehrt nach der US-Tournee in die Heimat zurück.

1844, Hamburg: Der Theologe und Gründer der Diakonie, Johann Hinrich Wichern leitete in Hamburg das „Rauhe Haus“, eine Ausbildungsstätte für zukünftige Sozialarbeiter und Missionare. Er hat einen nicht unwesentlichen Beitrag zur Verbreitung des Liedes  geleistet. Im Jahre 1844 gab er für den Unterricht ein eigenes Gesangsbuch mit dem Titel „Unsere Lieder“ heraus, welches auch das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ enthielt. Als einer der größten Auswandererhäfen war Hamburg Drehscheibe vieler Auswanderer die, begleitet durch Missionare des „Rauhen Hauses“ und dem Liederbuch im Gepäck, das Lied bis nach Amerika getragen haben.

1848, Wagrain: Am 4. Dezember 1848 verstirbt Joseph Mohr im Alter von nur 55 Jahren aufgrund einer Erkältung nach einem winterlichen Versehgang. In Wagrain geht er als „sozialer Vikar“ in die Ortschronik ein.

(c) Verlag Edition Tirol, Stille Nacht Forscher Martin Reite fand den ältesten Druck von Stille Nacht außerhalb Europas, gedruckt 1840 in New York

1851, New York: „Silent night! Hallow’d night!“ erscheint in der Textfassung von J. F. Warner in einem Liederbuch.

1851, Zillertal: Ermutigt von den Erfolgen in den USA, gründet Ludwig Rainer die „Rainer Gesellschaft“ mit bis zu 15 Sängern, die an nahezu allen Herrscherhäusern Europas auftreten werden. Ihre Reisen führen sie nach England, Schottland und Irland, nach Italien, Frankreich, Dänemark, Schweden und Norwegen.

1854, Hallein: Authentische Veranlassung durch Franz Xaver Gruber. Im Jahr 1854 wandte sich die Königlich Preussische Hofkapelle in Berlin an das Stift St. Peter in Salzburg, um Auskunft über Michael Haydn zu erhalten, der für den Urheber des Liedes gehalten wurde. Der Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. wollte die Noten für seine Hofkapelle haben und ließ deshalb im Stift St. Peter in Salzburg um eine Abschrift anfragen. Zufällig hielt sich ein Sohn Franz Xaver Grubers im Konvikt auf, sodass die Urheberschaft geklärt werden konnte. Franz Xaver Gruber verfasste daraufhin die „Authentische Veranlassung zur Composition des Weihnachtsliedes“.

1858 Moskau/St. Petersburg: Die Rainer-Sänger kommen nach Russland und bleiben hier für zehn Jahre. Heimataufenthalte werden lediglich genutzt, um neue Mitglieder zu werben.

1859, New York: Das Lied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ erscheint in englischer Übersetzung in der Broschüre „Carols for Christmas Tide“ von Bischof John Freeman Young.

1863, Hallein: Franz Xaver Gruber stirbt am 7. Juni mit 75 Jahren an Altersschwäche. Bei seinem Tod gilt der Chorregent, Organist der Stadtpfarrkirche und Stiftungsverwalter der Stadtpfarre Hallein als hochangesehenes Mitglied der Gesellschaft. 28 Jahre hat er in der Salinenstadt
gewirkt und gearbeitet. Franz Xaver Gruber findet seine letzte Ruhestätte auf dem alten Friedhof der Stadtpfarrkirche Hallein, dort erinnert ein Gedenkgrab an sein Wirken.

1866, Salzburg: Aufnahme des Liedes in ein „offizielles Kirchenbuch“ in der eigenen Heimat.

1868, Achenkirch am Achensee: Der berühmte Tiroler Nationalsänger Ludwig Rainer von den Rainer-Sängern kehrt nach fast dreißig Jahren im Ausland als wohlhabender Mann nach Tirol zurück. 1870 wird sein neu erbautes Hotel am Achensee errichtet: Der Erfolg der Tiroler Nationalsänger hat sich positiv auf den Tourismus in Tirol ausgewirkt.

1873, Wien: Auf der Wiener Weltausstellung taucht „Stille Nacht! Heilige Nacht“ in einem dort gezeigten nordamerikanischen Schulhaus als „Choral of Salzburg“ auf.

Zur Jahrhundertwende wurde „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ bereits – verbreitet durch katholische und protestantische Missionare – auf allen Kontinenten gesungen.

24.12.1914, Flandern / Westfront: Rund fünf Monate nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs ereignet sich an der Westfront, an der schon mehr als eine Million Soldaten gefallen oder verwundet worden waren, ein einmaliges Wunder der Verbrüderung unter tausenden Soldaten verschiedener Nationen. Am 24. Dezember, dem Heiligen Abend, kehrte Ruhe ein in den Schützengräben. Einige Soldaten stellten kleine beleuchtete Weihnachtsbäumchen auf den oberen Rand des Schützengrabens – wie ein Zeichen des Friedens. Auf beiden Seiten der rund 50 Kilometer langen Front in Flandern legten die Kämpfer ihre Waffen und Helme ab und sangen heimatliche Weihnachtslieder. Auch „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ erklang – in verschiedenen Muttersprachen. Die friedliche, solidarische Kriegsweihnacht war mit einem Ausnahmezustand zu vergleichen: In der Folge wurde die Verbrüderung bei Todesstrafe verboten.

1941, Washington: Franklin D. Roosevelt und Winston Churchill singen gemeinsam „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ im Garten des Weißen Hauses.

2011, Oberndorf: „Stille Nacht! – das Lied zur Weihnacht“ wird auf die nationale Liste des immateriellen UNESCO-Kulturerbes gesetzt.

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