Singen zur Adventzeit unter dem Christbaum

Wissenschaftliche Sichtweise

Gedanken zu einem Welterfolg

Der Salzburger Musikschriftsteller und Dramaturg Professor Gottfried Kasparek ist unter anderem künstlerischer Leiter des Diabelli-Sommers in Mattsee. Zum 200-Jahr-Jubiläum im Jahr 2018 hatte er sich mit dem Weihnachtslied „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ auseinandergesetzt und erklärt, worin dessen Zauber besteht. Kaum jemand kann sich dem Bann des Liedes widersetzen und dafür gibt es interessante Gründe.

Schon als Kind in Wien war das gemeinsame Singen von „Stille Nacht! Heilige Nacht!“ unter dem Christbaum vor der Bescherung von der Weihe der Weihnacht erfüllt. Das Lied gehörte zum Fest und so ist es bis heute geblieben. Ein schöner Gesang, der einfach da ist und Freude macht. Sogar dann, wenn die Interpretation zu wünschen übrig lässt. Ich zum Beispiel habe immer noch den vor allem lauten und rauen Bariton meines Vaters im Ohr. Das macht nichts, die Musik hält das aus. Später, in Salzburg, war es eine originale, vierstimmige Version mit Streichtrio, zwei Hörnern und Orgel, die mich faszinierte. Sie stammt vom Komponisten, von Franz Xaver Gruber, der den Welterfolg seines Geniestreichs als Kirchenmusiker in Hallein noch erlebt hat. Da wird aus dem Lied eine kleine, feine, klassische Kantate.

Der Dichter Joseph Mohr war Salzburger und ein sozial engagierter, aus einfachsten Verhältnissen stammender Geistlicher. Er konnte sehr gut Gitarre spielen und hatte eine schöne Tenorstimme. Der Komponist, der Sohn eines Leinenwebers aus Oberösterreich, war als Lehrer und Regenschori im Land Salzburg tätig. Regenschori ist die alte Bezeichnung für die „Regenten des Chores“ in den Kirchen des katholischen Österreich und Bayern.

Den Text hatte Mohr schon 1816 in Mariapfarr im Lungau geschrieben. Was am Heiligen Abend 1818 erstmals erklang, dargeboten von Mohr und dem in Basslage singenden Gruber, begleitet auf der Gitarre, wurde zu einem der erfolgreichsten Lieder der Musikgeschichte. Der Mann, der wenig später die Orgel reparierte, brachte es ins Tiroler Zillertal, welches bis heute zur Erzdiözese Salzburg gehört. Dort, in Fügen, erklang es wohl schon zu Weihnachten 1819. Zillertaler Volkssänger machten das Lied berühmt, in der Alten, bald auch in der Neuen Welt. In vielen Versionen. Auch Gruber selbst schrieb mehrere Fassungen. Aber das Wesentliche ist die Substanz.

Es ist ein schlichtes Wiegenlied im getragenen Siciliano-Rhythmus. Dem sagt man Zärtlichkeit und schöne Melancholie nach. Im Barock und in der Klassik wurde er oft für Hirtenidyllen verwendet, nicht nur geistliche, auch sehr weltliche. Zum Beispiel singt Pamina in Mozarts Oper „Die Zauberflöte“ ihre wundersame, um vermeintlich verlorene Liebe trauernde Arie in diesem Rhythmus. Dagegen lässt Joseph Haydn in seinem Oratorium „Die Schöpfung“ darin den Frühling preisen. Sicher kannte Gruber geistliche Siciliano-Sätze aus seiner täglichen Arbeit in den Kirchen von Arnsdorf und Oberndorf, wahrscheinlich sogar solche von J.S. Bach, den Brüdern Haydn oder Mozart. Vorbilder gibt es genug, doch die Einheit von Text und Musik stammt von Joseph Mohr und Franz Xaver Gruber.

Das Lied ist in deutscher Sprache, die Weise ist im besten Sinne volkstümlich, der Rhythmus kommt aus den Dudelsäcken sizilianischer Hirten. Der Text lässt sich gut übersetzen. Dem Zauber der innigen Komposition können selbst Menschen nicht entkommen, die anderen Religionen angehören oder Atheisten sind. Die hat damit zu tun, dass sich darin die Kraft der Weihnachtsgeschichte in einfachen Worten und Motiven spiegelt. Dass die Musik nicht triumphierend klingt, sondern anrührend. Manche Menschen rührt das Lied zu Tränen, was am Schwermut suggerierenden Rhythmus liegen mag – auch Pamina weint sozusagen singend. Andere bewegt es eher zu einem glücklichen Lächeln. Man kann dazu sogar unter Tränen lachen. Das Lied ist nicht liturgisch und streng, es ist ein Liebeslied für ein neugeborenes Kind. Es ist ein Lied des Friedens, voll klingender Spiritualität, die Grenzen überwindet. Und es ist zeitlos. Es gehört all jenen in der Welt, die guten Willens sind.

(Gedanken von Professor Gottfried Kasparek)

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